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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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und sie wusste, wer dort soufflierte – die alte Anne-Tove Psst saß jeden Abend in einer Ecke der Rampe und konnte auf Aufforderung den ersten Akt von Pangsion Schönner herunterleiern, mit Bühnenanweisungen und Personen und Satzzeichen und allem. Gegen eine Flasche Rotwein als Bezahlung.
    Und wenn Malie sich das Rollenheft nicht besorgen könnte, würde sie eben das Buch lesen. Auf Deutsch, jawohl! Natürlich war sie eine Marlene, wenn auch einen halben Meter kleiner. Oder vielleicht war Marlene in Wirklichkeit gar nicht so groß, vielleicht sah es im Film nur so aus? In diesem wunderbaren ge wagten Film. Gott, sie glaubte, die Rolle in- und auswendig zu können. Und der Applaus, als sie kokett von der Bühne tänzelte, stärkte ihr Zutrauen in ihren Plan noch. Durch eine Falte im Vorhang starrte sie Munk an. Er lachte, mit zurückgeworfenem
Kopf und halb offenem Mund, und die Lorgnette war ihm in den Schoß gefallen. Sie konnte seinen Portweinatem noch hier oben riechen. Er war widerlich. Dieser Wanst . . . aber wenn es sein müsste, würde sie nicht Nein sagen.
    »Gott, Malie, wie du dich anbietest. Man konnte bis in den Himmel schauen. Man konnte den Essig geradezu riechen. «
    Das war Tutt. Geschminkt wie eine chinesische Porzellanpuppe. Eine kleine Geisha, mit rotem Mund, der wie eine Kugel mitten auf die Lippen gemalt war, und schwarzen, schmalen Augenbrauen hoch über den mit Puder getarnten echten.
    »Natürlich biete ich mich an. Munk ist hier.«
    »Das weiß ich. Das wissen alle. Ich freue mich auf morgen, wenn wir ganz locker für das übliche Publikum spielen können.«
    »Du hast keinen Ehrgeiz, Tutt.«
    »Aber du. Und man sieht ja, wie weit dich das gebracht hat. Zwei Apollo-Revuen und dann bums, zurück ins Rode Kro.«
    »Aber, aber. Meine Zeit kommt schon noch. Du weißt doch selbst, dass Lola-Lola eben eine Kabarettschauspielerin von der emanzipierten, rockschwenkenden Sorte ist.«
    »Der Blaue Engel? Jaja. Dann begreife ich. Wollen wir hoffen, dass der kleine Bæppe sich ein Hotelzimmer leisten kann. Wegen diesem kleinen Schwein lauf ich nicht die ganze Nacht durch die Gegend.«
    »Tutt, Tutt, hüte deine böse Zunge. Wasch sie mit Seife. Eine Frau tut, was sie tun muss, wenn der Ruhm lockt.«

    Bæppe Munk tauchte nach der Vorstellung nicht in der Rampe auf. Es war der Deutsche, den Malies Blicke abermals fanden, als alle sich wie üblich um den Tresen versammelten. Witzig, dass er in Amager trinken mochte. Aber hier passierte im Moment ja so viel. Die Künstler interessierten sich für das Sozialrealistische, hatte Tutt erklärt. Mit den Feinen waren sie ein für alle Mal fertig. Jetzt waren Schmutz und Staub und Alte und Arme angesagt. Das fanden die Künstler toll, und sich selber fanden sie
dann ehrlich. Und es war so billig, hier zu wohnen. Er kannte sicher Leute in Amager, dieser Deutsche, der eigentlich Österreicher war.
    Malie drängte sich durch und wurde ihre Bestellung los, und zugleich versuchte sie, auf die Unterhaltung zu horchen, in die der Fotograf vertieft war, umgeben von seinem Harem: jungen Männern mit langen Schals und albernen Bärten und konzentriert gerunzelten Stirnen. Sie konnte aber nicht aufschnappen, worum es bei diesem Gespräch ging. Sie sprachen leise, ohne zu lachen, als wüssten sie von Dingen, von denen hier sonst niemand eine Ahnung hatte. Wenn er nicht so hinreißend gewesen wäre, hätte sie ihn verachtet. Sein Harem umgab ihn wie ein Bollwerk. Es war ganz leicht, diese Verehrer zu verabscheuen.
    Dann fiel ihr Frau Psst ein, und da saß sie. Ganz still saß sie in ihrer Ecke und bewachte ihre Rotweinflasche. Sie durfte nicht allein und konzentriert trinken, wenn die Direktion ihres Theaters sie sähe, würde sie fristlos entlassen. Alkoholisierte Souffleusen waren der schlimmste Albtraum aller Regisseure und Theaterdirektoren. Aber Himmel, Abend für Abend in einem dunklen Loch, da musste man sich hinterher doch die Kehle anfeuchten. Und zu diesem Zweck kam Frau Psst dann eben her.
    »Hallo, Anne-Tove!«
    Frau Pssts Augen wanderten langsam an Malie hoch und blieben an ihrem Gesicht haften.
    »Kennen wir uns?«
    »Malie-Thalia. Vom Rode Kro. Ich bin heute in der Zeitung erwähnt worden. Wir hatten gestern Abend Premiere mit unserer Sommerrevue.«
    »Was willst du?«
    »Den Text vom Blauen Enge /.«
    »Den kann ich nicht. Wie wäre es mit Pension Schöller? Pygmalion? Die klugen Jungfrauen? Das kostet eine Flasche Wein.«
    »Natürlich bekommst du Wein. Du

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