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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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Halbspitze.«
    Ach was. Untertassen. Halbspitze. Untertassen waren Carl-Peters Tagesplan. Seine kleine Welt. So und so viele. Im Akkord. Streichen, tropfen, verteilen. Tunken, mischen, den Pinsel aufsaugen lassen, ihn an der Spitze besser zurechtformen, den dicken Teil im Blauen ruhen und sich voll saugen, die Spitze über die gierige Oberfläche des Porzellans gleiten, die Farbe für immer im Weißen verschwinden lassen, danach eine neue Linie, die am Ende verrinnt. Die Enden der Linien pünkteln, immer wieder im Kreis, die Halbspitze mit Farbe versehen, schön gekurvt, keine schräge Kante, nicht zu viel Farbe, nicht zu wenig, den Ellbogen auf der Stützplatte ruhen und die Hand arbeiten lassen, bis die Untertasse vollendet ist und sie dann mit der bemalten Seite nach unten zusammen mit den anderen auf das Brett legen. Eine neue blendend weiße Untertasse nehmen und die Rückseite in der linken Hand ruhen lassen. Mit dem Pinsel immer wieder durch das Blaue auf der Palette fahren, die richtige Stärke und Menge finden, um danach den doppelten inneren Kreis zu zeichnen . . .
    Auf den Untertassen war der Kreis bereits ins Porzellan eingegossen, und in der Mitte saß eine Chrysantheme. Mit dem Stängel nach unten, um zu zeigen, wie die Untertassen auf dem Tisch
stehen sollte. Aber das interessierte niemanden, außer den Feinen.
    Und da brachte Sophus seinen Stapel. Er balancierte ihn auf dem über seine Schulter gelegten Brett, wie ein Kellner mit dampfenden Gerichten, die sofort verzehrt werden sollen. Eine kleine Pyramide aus jungfräulichen Untertassen, zerbrechlich wie Weihnachtsplätzchen, vor dem letzten Brand mit Blau und Oberglasur.
    »Und du warst also in Norwegen? Bist du da nicht erfroren?«
    »Nein, es war schön. Danke, Sophus.«
    »Ich soll fragen, ob du bis Mittwoch einen Kandelaber machen kannst.«
    »Ja. Her damit. Nur einen?«
    »Fünf. Carl-Peter hat schon einen verpatzt. Wir haben auf dich gewartet.«
    Carl-Peter lachte ein Lachen, dem es an Schuldgefühlen restlos mangelte. Er wurde trotzdem nicht entlassen. Wenn sie so dumm waren, ihm Kandelaber zu geben, mit kletternden Engelchen und kriechenden Schnecken und filigraner Vollspitze um jeden Kerzensockel, dann hatten sie nichts anderes verdient. Niemand malte Standardteller geriffelt und Halbspitze so schnell wie er. Niemand. Aber bei so einer großen Kandelaberarbeit konnte er die Zigarre einfach nicht planen, und die Zeit lief ihm davon, und die Zigarre erlosch. Und er hasste erloschene Zigarren. Weshalb er die Arbeit vernachlässigte. Bei Tellern und Untertassen wusste er genau, wie viele Ranken und Blumen und Tupfen zwischen zwei Zügen an der Zigarre Platz hatten.
    »Mogens ist wieder da. Gib dem Mann einen Kandelaber oder auch acht«, sagte Carl-Peter. Mogens lächelte nur. Sie wussten nicht, was er mitgebracht hatte. Sollten sie ihn doch für den Alten halten, dachte er und gab Kobalt aus dem Kongo auf die frisch gewaschene weiße Palette.

    Von Angesicht zu Angesicht mit Anne-Gine beschloss er am selben Abend, ihr offen zu sagen, dass er es einfach nicht mehr ertrug.
    Bei der Vorstellung, wie sie reagieren würde, zitterten ihm die Knie. Das ärgerte ihn. Er hatte es schon vor langer Zeit sagen wollen, nur hatte ihm der Mut gefehlt. Jetzt war er vorhanden, warum also zitterten ihm die Knie? Sie war müde und leicht beschwipst gewesen, als er am Vorabend spät nach Hause gekommen war, und hatte ihm nicht zugesetzt. In bodenlangem Nachthemd mit Spitzen und Keulenärmeln hatte sie ihn allein ins Bett gehen lassen, in aller Ruhe. Aber als er an diesem Tag aus der Fabrik nach Hause gekommen war, war sie Feuer und Flamme gewesen, ihre Wangen hatten geglüht, und sie hatte sich bitterlich über Frode Nicolai beschwert. Eine kurze Woche konnte sie wohl nicht von diesem Mannsbild abbringen, mit dem sie seit Jahren flirtete, ohne mit ihm ins Bett zu gehen. Ein wenig Stil habe sie doch, wo sie schon mit dem Mietbruder ins Bett ging, wie sie Mogens nannte.
    »Es sind Dinge passiert, Frode ist ein Schwein«, sagte sie und schob ihren Busen vor.
    »Frode ist durchaus kein Schwein, er ist mein Bruder.«
    Er mochte nicht nach Einzelheiten fragen. Er wollte ausziehen. Es war ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Er musste sich auf die Arbeit konzentrieren. Es war eine Berufung, das hatte er nun endlich begriffen.
    »Ich kann es einfach nicht mehr ertragen, wie du mich bedrängst, Anne-Gine. Ich ziehe aus«, sagte er.
    Anne-Gine, mit blanken Händen, weil

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