Das Erbstueck
gezuckt. Und dann ist sie gestorben. Sie ist tot, Malie.«
»Dann nimm ihr die Schleife weg. Die brauchen wir noch.«
»Aber Malie ...«
»Weinst du? Aber du hast sie doch gar nicht gekannt? Eine kleine, tote Katze. Herrgott. Tutt, komm wieder ins Bett, möchtest du einen Schluck Wein? Und eine Zigarette?«
Das wollte Tutt. Und Malie wollte das auch. Sie tranken abwechselnd aus der Flasche, und Tutt vergaß die Katze, als sie sich dann unterhielten.
»... und dann habe ich diesen Fotografen wiedergesehen, den deutschen, in der Rampe. Er war ausschließlich mit Männern zusammen, die allesamt ungeheuer künstlerisch wirkten. Weit und breit keine Frau. Er ist wirklich zum Anbeißen, du. Und ich kann ja ziemlich viel Deutsch. Aber ich sollte mir vielleicht zuerst seine Ausstellung ansehen, auch wenn die mich überhaupt nicht interessiert, nur damit wir Gesprächsstoff haben. Was meinst du? Wir haben übrigens kaum noch Essig. Und Wein! Und bald gehen uns auch die Zigaretten aus.«
»Er kommt aus Österreich. Er ist alt. Und er ist berühmt«, sagte Tutt. »Und verheiratet, glaube ich.«
Malie lachte. »Und wo steckt die Gattin? Ist sie hier in Kopenhagen? Nein. Und ober alt ist, was heißt schon alt , Tutt . . . Woher weißt du überhaupt, dass er verheiratet ist?«
»Ich lese schließlich Zeitungen, Malie. Sicher hat das da irgendwo gestanden.«
»Du bist ja wohl nicht die Einzige, die Zeitungen liest. Und ein Fotograf ist ja wohl kein Künstler. Künstler malen , Tutt.«
»Du liest nur über dich selber. Können wir nicht schlafen, Liebe? Heute Abend müssen wir ja wieder ran«, sagte Tutt und drehte ihr den Rücken zu.
»Er heißt Rudolf«, sagte Malie und streichelte sich die Brüste. »Rudi. Rudi. Hörst du, Tutt? Dass ich es deutsch ausspreche? Ich kann das ganze Gedicht über den Elfenkönig, der den kleinen, kranken Jungen stiehlt. Von Goethe, Tutt. Goethe! Da staunst du, was? Glaubst du mir nicht? Wer reitet so spät durch Nacht und Wind . . .«
»Ich glaube dir. Halt jetzt die Klappe! Gute Nacht!«
»Du? Hast du an den Essig gedacht? Nach Käse-Erik?«
»Nein. Und wenn etwas passiert . . . Erik ist nicht verheiratet. Und er hat mir schon drei Anträge gemacht, weißt du.«
»Aber du willst doch sicher nicht . . . er stinkt doch, Tutt.«
»Nach Käse, du Dussel! Davon lebt er. Er ist fast schatzreich!«
»Ich seh dich schon vor mir. Wie du auf dem Markt stehst und Käse verkaufst! Darf es heute ein Stück Edamer sein, gnädige Frau? Oder ein saftiges Stück Roquefort? Während Käse-Erik dir hinter dem Geldschrank an den Hintern geht.«
»Ich werde in unserem Haus bleiben. Bei den Kindern.«
»Gott soll mich schützen. Ich lach mich tot. Tooooot!«
»Du kannst Brautjungfer sein. Wir sind fünfundzwanzig Jahre, Malie. Du bist übrigens schon sechsundzwanzig – ha! Wir müssen einen Mann finden. Für jede einen. Und ihn festhalten. Heiraten. Plötzlich eines Tages bist du nicht mehr Lieschen Leichtfuß.«
»Ich hab doch noch andere Standbeine. Oder Zehen.«
»Du bist bald dreißig, Malie. Wenn man sich das richtig überlegt.«
»Himmel, du nimmst immer alles so ernst. Das sind doch noch fünf Jahre.«
»Nur vier.«
»Fünf! Nein, jetzt schlafen wir. Und vergiss nicht, die Katze rauszuschmeißen!«
Die Wichtigen saßen am selben Abend im Saal. Es kam nur selten vor, dass sie sich dazu herabließen, sich auf den weiten Weg nach Amager und ins Røde-Kro-Theater zu machen. Sie überlie ßen das Røde Kro und die Hefe des Volkes normalerweise ihrem eigenen Schicksal. Die Presse besuchte die Premieren, weiteres Interesse war selten. Malie spürte es in jeder Faser ihres Körpers, als sie an diesem Tag dort saßen, dass sie gemessen und gewogen wurde. Bæppe Munk vom Folketheater war gekommen, dick und speckig, die Lorgnette zwischen seine gelben Hautfalten gequetscht, und mit Schaum in den Mundwinkeln. Als Spion. Im Herbst wollte er den Blauen Engel bringen. Das musste doch etwas mit ihr zu tun haben. Hier und jetzt! Sollte sie ihren Tanz noch verführerischer gestalten?
Sie hob ihren Rock besonders hoch und ließ die Locken um ihr Gesicht wirbeln. Und riss die Augen auf, ließ sie strahlen, hob ihr Kinn, schob die Brüste vor. Würde sie eine solche Hauptrolle schaffen? O ja. Sie war weiß Gott die Hauptattraktion des Blauen Engel, die großartigste Lola-Lola. Sie wollte sich den Rollentext besorgen, sie hatte schon Nächte mit mindestens zwei Bühnenarbeitern vom Folketheater verbracht,
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