Das Erbstueck
und den Wagen arbeiteten. Er malte niemals Menschen. Aber jetzt blieb ihm nichts anderes übrig.
Sie sahen aus wie alberne kleine Zinnsoldaten.
Er versuchte, sich an die Bauern zu erinnern, die das Haus abgebrochen hatten, wie sie sich zwischen Gras und Holzwand bewegt hatten, wie sie sich bückten, wie sie schwere Lasten trugen, wie sie ins Zaumzeug der Pferde griffen. Er fing an, die Menschen draußen auf der Straße zu beobachten. Ihm war es egal,
was mit denen geschah, ob sie um ein Haar von einer Elektrischen überfahren wurden oder hin und her torkelten oder sich stritten. Nur, wie sie ihren Körper vor einem zufälligen Hintergrund zeichneten, war wichtig. Frode Nicolai hatte es schließlich satt; er mochte nicht mehr über das süße Leben reden, das auf sie wartete. Er zog bei Anne-Gine in Mogens’ altes Zimmer und ging wie ein Ballon auf, vor Anne-Gines Kochtöpfen und mit weißem Schmalz auf den Broten und jeden Tag Nachtisch.
Wenn Adam Poulsen vormittags mit wehendem Kittel durch die Blaumalerstube lief, die Hände auf dem Rücken verschränkt, dicht gefolgt von seinem Hund, saß Mogens gebeugt über seiner Muschelmalerei und schämte sich. Er hatte die Sache für einfacher gehalten. Er musste feststellen, warum seine Ideen verdarben. Er durfte nicht aufgeben.
Eines Tages fing er den Blick des Hundes ein. Der Hund hieß William und war eine Art Hühnerhund, mit kurzem glattem Fell und nach hinten gelegten, untertänigen Hängeohren. Er stellte die Vorderbeine vor sich wie ein Seiltänzer und hing immer an den Fersen von Poulsen, nur ein seltenes Mal bog er ab, um an den Taschen der Blaumaler zu schnuppern, die an die Tische gelehnt auf dem Boden standen. An diesem Tag schnupperte er an Mogens’ Tasche, die dessen Pausenbrote enthielt. Er blieb stehen, nachdem seine Nase ihre Arbeit getan und nachdem die Augen sich davon überzeugt hatten, dass die Tasche fest verschlossen war.
Er hob den Kopf. Mogens erwiderte seinen Blick, und wie sein Herr betrachtete William den Blaumaler mit überlegenem Interesse. Mogens versank plötzlich widerstandslos in diesem Blick, diesem Tiefbraun in Kreideweiß. Die Augen sahen aus wie Kaffeereste in weißen Mokkatassen, und er dachte: die kann ich malen. Der Kontrast ist so groß, die scharfe Farbe vor dem Weiß. Das schaffe ich problemlos. Aber die Stelle, wo der Augapfel unter den Wimpern verschwindet . . . das wird schwieriger. In
dieser Sekunde wusste er, dass er an den Übergängen arbeiten musste, nicht am eigentlichen Inhalt des Motivs. An der Stelle, wo das Motiv auf seinen Hintergrund stieß und zu etwas anderem werden sollte. Er legte den Pinsel hin und streckte die Hand aus, um den Hundekopf zu streicheln, in plötzlicher Dankbarkeit.
»NEIN!«, brüllte da Adam Poulsen.
Mogens riss seine Hand zurück.
»Der kann beißen. Und deine Hand brauchst du noch, Thygesen.«
William glitt wie ein scharfer Schatten hinter seinen Herrn. Der Herr ging weiter, und durch die Tür auf der anderen Seite der Malerstube. Alle schauten Mogens an. Carl-Peter lachte, und der Zigarrenrauch quoll zwischen seinen Lippen hervor.
»So viel Aufmerksamkeit hast du aber lange nicht mehr gekriegt« , sagte er.
Warte du nur, dachte Mogens, endlich habe ich begriffen. Als er den Pinsel hob, zitterte seine Hand. Er gab vor, die Schüssel lange hin und her zu drehen und seine bisherige Arbeit zu untersuchen. Er holte mehrere Male tief Atem, bis seine Hand sich beruhigt hatte und nicht mehr auf die Aufregung reagierte. Er sperrte Adam Poulsens demütigenden und autoritären Ruf aus. Er sperrte das Bild der zerbissenen, misshandelten Hand aus, von der es rot auf das Weiße tropfte. Die Übergänge. Darin lag der Schlüssel.
Am selben Abend gelang es ihm. Plötzlich war der Wasserfall da, schien sich zu bewegen. Er hörte fast das Geräusch des Wassers, das sich schwer und ohnmächtig über den Felsen wälzte. Die Fenster standen sperrangelweit offen, aber trotzdem herrschte in der Malerstube eine erstickende Hitze. Die Junisonne brannte gegen die Fenster, sogar die Vögel waren vor Hitze halb tot. Auf jeden Fall herrschte in den Baumwipfeln draußen eine Totenstille.
Mogens wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Wange. Er war fast nackt unter dem Kittel, er trug nur eine Unterhose und ein kurzes Hemd. Der Brennofen steigerte die Hitze noch. Die Wärme kam von allen Seiten. Eigentlich war es unerträglich. Trotzdem lächelte er und bemalte einen Teller, dem eine komplette
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