Das Erbstueck
Riffelseite fehlte. Er versuchte es mit einem Text an der Seite, die noch vorhanden war. Genau wie auf den Weihnachtstellern sollte dort stehen, um welches Motiv es sich handelte.
Haugfossen. Modum Blaufarbenwerck, in schöner Schnörkelschrift. Auf einem anderen Teller übte er Menschen, ein Fries aus Menschen. Die Kunst lag darin, sie nur anzudeuten. Er ließ sie im Kreis um die Tellermitte wandern, und es sah wirklich aus wie junge Männer beim Reigen. Und ein Pferd. Er skizzierte das Pferd mit einfachen Strichen, danach gab es in den Übergängen nur Wasser. Vermutlich, trotz seiner Verachtung für die Oberglasurmalerei, wussten sie wohl, dass er das alles durchprobieren und aus seinen Fehlern hatte lernen müssen. War das hier gut genug? Ja, es sah ja so aus, wie er es gesehen hatte. Er war dort gewesen. Hatte die Skizzen gemacht. Und die Ideen bekommen.
Er malte drei perfekte Schüsseln, für die er selber bezahlte. Olufsen trug alles in sein Buch ein.
»Kannst du nicht einfach sagen, du hättest dich bei den Muscheln vertan und alles aufs Manko buchen?«
»Nein. Bei den Muscheln vertue ich mich nie.«
Er entschied sich für den Wasserfall, den Eingang zum Arsenturm und einen allgemeinen Überblick. Dieser enthielt Männer, die sich abmühten und schufteten. Er schrieb den Namen des Motivs an den Rand und signierte auf der Rückseite mit seinem M. Für die drei Schüsseln brauchte er über eine Woche, nach Feierabend. Er versteckte sie in dem kleinen Schrank unter dem
Tisch. Carl-Peter durfte sie um nichts in der Welt entdecken. Carl-Peter glaubte, er mache diese Überstunden, um das Blaue-Blume-Muster zu üben. Mehrere von ihnen wechselten zwischen Muschel und Blauer Blume. Aber Carl-Peter war zu vertieft in seine eigene beschränkte Gedankenwelt, um Mogens’ blaue Blumen zu sehen. Und die anderen in der Malerstube waren in ihre Arbeit vertieft. Wenn man so zu zweit an der Arbeit saß, redete man nur mit dem Tischnachbarn. Außerdem handelte es sich bei den anderen zumeist um Frauen, einen Menschenschlag, mit dem er einfach nicht vertraut war. Die Männerbastion Malerstube war schon längst gefallen. Und das war traurig, dachte er oft. Die Blaumalerei war eine ernsthafte Arbeit.
Es blieben nur noch Glasur und Brennen. Er legte die Schüsseln mit der Rückseite nach oben auf ein Brett, das mit Kannendeckeln bedeckt war, deren Griffknopf oben geformt war wie ein Pilz. Sie waren wunderschön. Er stellte fest, wann sie in den Ofen sollten. Am selben Abend um elf. Sehr gut. Nach fünfundvierzig Stunden dort waren die Kannendeckel und seine Schüsseln fertig. Und dann wollte er zur Stelle sein, ehe irgendwer fragen konnte, was das denn sei. Um acht Uhr, übermorgen Abend. Er wollte sie selber bewachen, während sie abkühlten.
Er räumte seinen Tisch auf und säuberte ihn, schloss die Fenster, zog sich um und ging ins Tivoli. Mit einem kleinen, viel sagenden Halblächeln glitt er zwischen den fröhlichen Menschen dahin und atmete das Leben ein. Er kaufte sich eiskalte Limonade und trank in langen, gierigen Zügen, mit gegen die Hitze, den Lärm und die Musik geschlossenen Augen. Er hatte schon lange nicht mehr Klavier gespielt. Vielleicht würde er sich jetzt eines kaufen können. Er sparte ja fast seinen gesamten Lohn. Er könnte sich ein kleines Haus kaufen, wenn er wollte. Oder ein Klavier. Mit den Ersparnissen von achtzehn Jahren. Das war nicht wenig, aber niemand wusste von diesem Geld. Es war seine Sicherheit.
Das ist das reine, unbesudelte Glück, dachte er. Poulsen wird begeistert sein. Ich werde befördert werden, befreit von Carl-Peter, ich bekomme eine eigene Malerstube mit Platz für Modelle und Skizzen und womöglich einem Sofa und Stühlen, sodass ich den Gästen etwas anbieten kann. Den Kunden, den Menschen, die Geld haben und sich etwas Besonderes wünschen. Ich werde Mitglieder des Königshauses treffen. Nach meinem Tod wird mein Portrait in Öl an der Wand hängen, in allen möglichen Farben. Oder sollte ich vielleicht auf einer Gedenktafel in Blaumalerei bestehen?
Unten am Hang lachte ein Kind. Es war ein Mädchen mit goldenen Locken und einer elfenbeinweißen Haarschleife, sie kroch herum, um eine Glaskugel zu fangen. Die Mutter kam angerannt und riss die Kleine aus dem Staub hoch. Das Lachen ging in Geschrei über.
Vielleicht heiraten, dachte er, eine Familie gründen und Kinder haben.
Von jetzt an war alles möglich.
B æppes Frau war mit den Kindern aufs Land gefahren. Deshalb
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