Das Erbstueck
durfte Malie ihn eines Tages in die riesige Villa draußen in Klampenborg begleiten, deren Garten so groß war wie Bornholm. Der Gärtner, die Mädchen und der Chauffeur registrierten ihr Eintreffen, aber das machte Bæppe nicht das Geringste aus. Sie wussten sicher, wem sie die Ehre einer festen Anstellung schuldeten.
Sie war jetzt zum dritten Mal mit ihm zusammen, und dabei konnte sie es nicht ertragen, auch nur eine Sekunde lang nüchtern zu sein. Sie fand ihn abscheulich.
Nackt sah er aus wie ein Walross, ein weißes Walross, mit kohlschwarzem Haarwuchs an den seltsamsten Stellen. Es war zum Erbrechen. Dass ein normales Menschenherz durch eine solche Menge Fett und Fleisch Blut pumpen konnte! Sein Stiernacken allein war so breit wie ihre Taille. Aber der Stiernacken wies drei harte Speckwülste auf. Ihre Taille tat das nicht.
Es ist Arbeit, sagte sie sich. Die Rolle hatte sie so gut wie in der Tasche. Nach der Premiere würde sie ihn fallen lassen, und die Huldigungen, die die Zeitungen der jungen Malie-Thalia darbringen würden, würden ihn daran hindern, sie zu feuern.
»Was hast du doch für einen idiotischen Künstlernamen«, sagte er und ließ einen Pfirsich zwischen ihre Brüste kullern.
»Findest du? Den hatte ich schon mit fünfzehn oder sechzehn.«
»Damals hast du doch wohl noch nicht gespielt?«
»Doch. Shakespeare. Die Julia.«
»Der Herr soll mich schützen!« Bæppe lachte ihr seinen Portweinatem ins Gesicht. Das war das Einzige, was er trank. Und zwar eimerweise.
Um ihm nicht an die Gurgel zu gehen, trank sie einen großen Schluck Gin aus ihrem Glas und holte in einer anderen Richtung frische Luft. Wollte er nur Zeit schinden? Ließ er sie in dem Glauben, sie könnte die Rolle haben, nur damit sie die Beine breit machte? Aber ihr war das recht. Sie würde es ertragen, nicht nachgeben. Sie hatte bereits mehreren erzählt, dass sie im Herbst im Folketheater die Lola-Lola spielen würde.
Auch der Fotograf hatte es erfahren. Es war übrigens so ungef ähr das Einzige, was sie ihm hatte sagen können. Sie errötete bei dem Gedanken, wie dumm sie gewirkt haben musste, als sie im Blechpavillon vor seinen Bildern die Kenntnisreiche und Kunstinteressierte gemimt hatte, worauf er plötzlich dastand. Beim nächsten Mal würde sie Tutt mitnehmen, damit die ihr hochtrabende Kommentare ins Ohr flüstern könnte. Es war eine schwachsinnige Idee gewesen, allein hinzugehen. Sie hatte es nur getan, weil er seit zwei Wochen nicht mehr in der Rampe gewesen war und weil sie eigentlich keine Lust hatte, Tutt in die Sache hineinzuziehen. Sie fragte sich wirklich, ob sie nicht ein wenig verliebt in diesen Deutschen war, der eigentlich aus Österreich kam. Er hatte so etwas Gewisses. Sie wollte ihn mit keiner anderen teilen. Und an den Wänden im Blechpavillon hingen auch Bilder von ihm selber. Er nahm sich wirklich selbst als Modell, das musste man sich erst einmal vorstellen! Er saß nackt und zusammengekrümmt und auf allerlei Berggipfeln und setzte sein Hinterteil auf den spitzen steinigen Untergrund. Es waren seltsame Bilder. Tutt musste ihr das alles erklären. Es waren schöne Bilder, das ja, stark und rein kamen sie ihr vor. Sie hatte bei ihrem Anblick eine tiefe Ruhe verspürt. Bis der Künstler sie aus dieser Vertiefung gerissen hatte.
»Interessieren Sie sich für Kunst, mein Fräulein?«, hatte er gefragt.
»Ja , ja!«
»Gut. Sie sind...«
»Und stell dir vor! Im Herbst werde ich die Hauptrolle im Blauen Engel spielen«, hatte sie gesagt.
Was war sie doch für ein Schafskopf! Zu ihrer Entschuldigung für diese unbeschreiblich schwachsinnige Bemerkung, die noch dazu reichlich unhöflich ausgefallen war, konnte sie nur anführen, dass es einen Zusammenhang gab, weil der Fotograf Deutsch sprach und der Blaue Engel von einem Deutschen geschrieben war. Aber das war wirklich ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Was mochte er nur gedacht haben, ehe er abermals von drei oder vier langschaligen Trotteln umringt wurde, zu denen auch junge Mädchen ohne eine Spur von Schminke geh örten, die jedoch Brille und Pagenfrisur und eine Kamera um den Hals trugen. Igitt! Sie selber war davongestürzt, so rasch ihre hochhackigen Charlestonschuhe es nur gestatteten. Klick-klack-klick-klack durch den ganzen Blechpavillon.
»Mir scheint, du wirst rot, Mallichen? Du darfst dich vom alten Bæppe nicht dermaßen vom Stängel hauen lassen – natürlich kannst du Shakespeare spielen. Das ist doch das Mindeste, was
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