Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac
Epidemie gewütet haben?«
»Ich weiß es nicht und will es auch gar nicht wissen«, erklärte Monsieur Poncin mit einer gewissen Großartigkeit. »Ein Statistiker, der diesen Namen verdient, muß es sich untersagen, Schlüsse zu ziehen, Monsieur. Er betrachtet, beobachtet, rechnet vor allem: darin ist alles enthalten, und aus seinen Untersuchungen und Beobachtungen ergeben sich dann die Resultate von selbst. Was tut es, wenn sie wechseln! Das ist in ma-the-matischer Hinsicht unvermeidlich, wenn die Faktoren sich ändern. Eine solche Einzelheit hindert jedoch nicht eine Addition daran, eine Addition, eine Subtraktion, eine Subtraktion, eine Multiplikation …«
»Eine Multiplikation zu sein, etcetera.«
»Etcetera«, wiederholte automatisch Monsieur Poncin. »Die Statistik ist eine unbeweglich feststehende Wissenschaft, aber sie entwickelt sich unaufhörlich, Monsieur.«
Nachdem Amédée Florence seine Neugier gründlicher als erhofft befriedigt hatte, beeilte er sich, das Gespräch mit dieser bewundernswerten Maxime seinen Abschluß finden zu lassen.
Als die Gefangenen wieder beisammen waren, ergab sich ein ernsterer Gesprächsgegenstand für sie. Wie man sich denken kann, sprachen sie am häufigsten von ihrer Lage und dem, von dem sie abhing, nämlich Harry Killer, der ihnen einen Eindruck hinterlassen hatte, den die Zeit nicht abzuschwächen vermochte.
»Wer mag dieses Individuum sein?« fragte eines Tages Barsac.
»Ein Engländer«, antwortete Jane Buxton. »Sein Akzent schließt da jeden Zweifel aus.«
»Ein Engländer, mag sein«, erwiderte Barsac, »aber das besagt für uns nicht viel. Auf alle Fälle ist er kein Mensch wie alle anderen. Innerhalb von zehn Jahren diese Stadt geschaffen, die Wüste derart umgewandelt und Wasser dorthin geleitet zu haben, wo es seit Jahrhunderten unbekannt war, ein solches Werk setzt einen mit ausgedehnten naturwissenschaftlichen Kenntnissen begabten genialen Verstand voraus. Es ist unbegreiflich, wieso dieser Abenteurer über so fabelhafte Talente verfügen sollte.«
»Für mich«, erklärte Amédée Florence, »ist es um so unbegreiflicher, als ich Harry Killer für einen Verrückten halte.«
»Einen Halbverrückten mindestens«, korrigierte ihn Dr. Châtonnay, »muß man in ihm sehen, aber einen Halbverrückten mit krankhaftem Hang zum Alkohol, und das ist grauenhaft.«
»Die Verbindung dieser beiden Merkmale«, meinte Amédée Florence, »schafft den klassischen Typ des Despoten, das heißt eines impulsiv handelnden Menschen, dem das Schicksal Macht verliehen hat und der sie in der Weise benutzt wie ein verzogenes Kind. Außerstande, den geringsten Widerstand zu ertragen, geht er ohne Zwischenstadium von Wut zur Gemütsruhe über wie auch umgekehrt und bekundet nicht die geringste Achtung vor dem menschlichen Leben, dem der anderen, versteht sich.«
»Ein solcher Typ kommt in Afrika nicht selten vor«, erklärte Dr. Châtonnay. »Die Gewohnheit, unaufhörlich in der Gesellschaft alles in allem untergeordneter Wesen zu leben, über die sie eine unbegrenzte Herrschaft ausüben, verwandelt nur allzuoft Europäer, denen ein gefestigter Charakter und eine Höherem zugewandte Seele keinen hinlänglichen Schutz gegen diese endemische Kolonialkrankheit bieten, in blutrünstige Satrapen; Harry Killer hat sie nur besonders weit entwickelt, das ist alles.«
»In meinen Augen ist er verrückt, kann ich nur wiederholen«, bemerkte abschließend Amédée Florence, »und auf einen Verrückten kann man sich nicht verlassen. Ich bin sicher, daß er uns vergessen hat, und nichts spricht dagegen, daß er nicht in fünf Minuten unser aller Hinrichtung von einem Augenblick auf den anderen befiehlt.«
Während der nächsten acht Tage jedoch verwirklichten sich die pessimistischen Konjekturen Amédée Florences nicht, und das Leben nahm bis zum dritten April seinen Fortgang, ohne daß irgend etwas Neues eingetreten wäre. Dieser Tag hingegen erhielt sein besonderes Gepräge durch zwei Ereignisse von verschiedener Art. Gegen drei Uhr nachmittag wurden die Gefangenen durch das Erscheinen Maliks angenehm überrascht. Sobald sie Jane Buxton erblickte, warf sie sich ihr zu Füßen und küßte mit glühender Hingabe die Hände ihrer guten Herrin, die gleichfalls tief bewegt war.
Von der kleinen Negerin erfuhren sie, daß sie, anstatt von den Aeroplanen mitgenommen zu werden, mit vier Mann und zwei Sergeanten der alten Eskorte etappenweise, während welcher Zeit ihr schlechte Behandlung
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