Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac
Sudan? … Ich wüßte nicht, daß man hier einen Angelschein braucht.
»Sie ›wildern‹? …« wiederhole ich. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich tue etwas Ungesetzliches«, antwortet mir Saint-Bérain, »weil ich nachts mit dem Wurfgarn fische. Das ist strikt verboten.«
Der Gedanke amüsiert ihn offenbar sehr. Er lacht, der arme Teufel.
»Und Moriliré? …« frage ich, am Ende meiner Geduld.
Aus dem Dunkel ertönt ein fürchterlicher Fluch, den meine Feder niederzuschreiben sich sträubt. Dann setzt der Schatten sich in Bewegung, und Saint-Bérain, tatsächlich im Aufzug eines Wilderers und bis zu den Knien durchnäßt, springt ans Land. Jetzt ist er tief bestürzt, freilich etwas spät.
»Moriliré! …« wiederholt er mit erstickter Stimme.
»Ja, Moriliré«, sage ich zu ihm. »Was haben Sie sich denn gedacht, Sie Unglücksmensch?«
Hier ertönt ein neuer Fluch, und Saint-Bérain rennt auf den Posten zu, den er nicht hätte verlassen dürfen.
Zum Glück schläft Moriliré immer noch. Ich möchte sogar behaupten, er habe sich, seitdem ich Hauptmann Marcenay abgelöst habe, überhaupt nicht bewegt. Denselben Eindruck hat Saint-Bérain.
»Sie haben mir wirklich einen Schreck eingejagt!« erklärt er seufzend.
In diesem Augenblick vernehmen wir ein ziemlich starkes Geräusch von der Seite des Flusses her, von dort, woher wir gerade kommen. Man hätte schwören mögen, daß jemand sich ins Wasser stürzt.
Wir laufen beide eiligst hin, Saint-Bérain und ich, und tatsächlich bemerken wir jenseits des improvisierten Floßes etwas Schwarzes, das um sich schlägt.
»Ein Neger«, sagt Saint-Bérain.
Er besteigt sein Floß und befreit den Neger, den er ans Ufer trägt, während er erklärend bemerkt:
»Der Schwarze hat sich in meinem Wurfgarn verfangen, das ich vergessen hatte.« (Natürlich, mein braver Saint-Bérain!) »Aber was, zum Teufel, hatte er da zu suchen, dieser schwarze Kerl?«
»Hier!« antwortet der Schatten von den Wassern her.
Wir beugen uns über den armen Teufel, der im übrigen so kräftig atmet, daß wir uns um ihn keine Sorge zu machen brauchen, und im gleichen Augenblick entringt sich unseren Lippen der gleiche Ausruf.
»Moriliré! …«
Tatsächlich ist es Moriliré, ein vollkommen nackter, ein von Kopf bis Fuß durchnäßter und von dem halben Ertrinken, das er hinter sich hat, noch halb erstickter Moriliré. Offenbar hat der Führer das Lager verlassen, den Fluß schwimmend durchquert, sich einen kleinen Ausflug ins freie Land geleistet und ist dann in dem dank einer gütigen Vorsehung in Gestalt von Saint-Bérains vergessenem Wurfgarn hängengeblieben. Ohne unseren unschätzbaren Zerstreuten wäre uns das Entrinnen des Verräters vielleicht für immer verborgen geblieben.
Plötzlich aber kommt mir ein Gedanke: Und der andere Moriliré, der friedlich bei hellem Mondschein schläft?
Ich eile zu dem unerschütterlichen Schläfer und rüttele ihn wach … Aha! Ich hätte es mir denken können. Der Doroké ist leer und bleibt mir in der Hand. Was das schwarze Gesicht anbelangt, so ist es nur ein Stück Holz, auf das der Helm samt dem Federbusch gepflanzt ist, mit dem der ehemalige Schütze seinen Reizen aufzuhelfen pflegt.
Diesmal haben wir den Schelm in flagranti gefaßt. Jetzt muß er Rede stehen.
Ich kehre zu Saint-Bérain und seinem Gefangenen zurück. Letzterer scheint nicht ohne Mühe wieder zu Bewußtsein zu kommen.
Ich sage ›scheint‹, denn plötzlich springt er hinterrücks auf die Füße und stürzt in der offenbaren Absicht zum Fluß, dort nochmals ein Bad zu nehmen.
Moriliré jedoch hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Saint-Bérain packt eisern das Handgelenk des Flüchtenden, der vergebliche Anstrengungen macht, sich von seinem Retter zu befreien.
Aufrichtig gesagt halte ich Saint-Bérain für weniger hinreißend von Gestalt als den Apoll von Belvedere, aber er ist stark wie Herkules. Er muß, jedenfalls nach den Verrenkungen und Grimassen des Schwarzen zu urteilen, kräftig zupacken können. In weniger als einer Minute ist Moriliré überwältigt, er rutscht auf den Knien und fleht uns um Gnade an. Zugleich fällt etwas aus seiner erschlafften Hand.
Ich bücke mich und hebe den Gegenstand auf. Leider mißtrauen wir dem Neger nicht genug. Moriliré befreit sich mit einer verzweifelten Geste, wirft sich auf mich und bemächtigt sich mit seiner freien Hand des besagten Gegenstands, der in seinem Munde verschwindet.
Saint-Bérains Lippen
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