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Das erste Buch der Traeume

Das erste Buch der Traeume

Titel: Das erste Buch der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Fat Freddy genannt.« Die Haustür war lautlos geöffnet worden, und vor uns stand ein großer Junge, etwas älter als ich, in einem schwarzen, langärmeligen T-Shirt und Jeans. Ich atmete erleichtert auf. Gut, dass Raben-Mum das blöde Teestundenkleid selber angezogen hatte, ich hätte mich darin kolossal lächerlich gemacht.
    »Meine Eltern haben ihn von meinen Großeltern zur Hochzeit geschenkt bekommen«, sagte der Junge und tätschelte dem Fürchterlichen Freddy den Schnabel. »Dad möchte ihn schon seit Jahren in die hinterste Ecke vom Garten verbannen, aber er wiegt schätzungsweise eine Tonne.«
    »Hallo, Grayson!« Mum küsste den Jungen auf beide Wangen und zeigte dann auf uns. »Das sind meine beiden Mäuse, Mia und Liv.«
    Mia und ich hassten es, »Mäuse« genannt zu werden, es war so, als würde Mum damit jeden immer sofort auf unsere (möglicherweise tatsächlich etwas) zu groß geratenen Vorderzähne hinweisen.
    Grayson lächelte uns an. »Hi. Freut mich, euch kennenzulernen.«
    »Ja, jede Wette«, murmelte ich.
    »Du hast Lippenstift an der Backe«, sagte Mia.
    Mum seufzte, und Grayson sah ein bisschen verdutzt aus. Ich konnte nicht umhin festzustellen, dass er seinem Vater sehr ähnlich sah, wenn man sich die Haare wegdachte. Die gleichen breiten Schultern, die gleiche selbstbewusste Körperhaltung, das gleiche unverbindliche Politikerlächeln. Wahrscheinlich kam er mir deswegen so bekannt vor. Allerdings hatte er nicht so riesige Ohren wie Ernest, aber das konnte ja noch kommen. Ich hatte mal gelesen, dass Ohren und Nasen die einzigen Körperteile sind, die bis ins hohe Alter weiterwachsen.
    Mum ging energischen Schrittes an Grayson vorbei, als ob sie sich bestens im Haus auskennen würde, und uns blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Im Flur blieben wir unschlüssig stehen, denn Mum war verschwunden.
    Grayson schloss die Tür hinter uns und wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. Dabei hatte Mia das mit dem Lippenstift nur erfunden.
    »Wir sind ebenfalls ganz außer uns vor Freude, hier sein zu dürfen«, sagte Mia, nachdem wir einander ein paar Sekunden verlegen angestarrt hatten. »Gibt es wenigstens was Leckeres zu essen?«
    »Ich glaube ja«, antwortete Grayson und lächelte schon wieder. Keine Ahnung, wie er das schaffte. Ich brachte es jedenfalls nicht fertig zurückzulächeln. Blöder Streber. »Mrs Dimbleby hat Wachteln auf dem Blech vorbereitet.«
    Na, das passte doch wie die Faust aufs Auge. »Mrs Dimbleby?«, wiederholte ich. »Die Köchin, nehme ich an? Und Mr Dimbleby ist dann sicher der Gärtner.«
    »Köchin und Haushälterin.« Grayson lächelte zwar immer noch, aber an der Art, wie er mich anschaute (eine Augenbraue leicht in die Höhe gezogen), merkte ich, dass er meinen spöttischen Unterton sehr wohl registriert hatte. Er hatte übrigens nicht Ernests blaue Augen geerbt, sondern hellbraune, die einen reizvollen Kontrast zu seinem blonden Haar bildeten. »Mr Dimbleby verkauft Versicherungen, soviel ich weiß. Dad macht die Gartenarbeit selber, er sagt, es entspannt ihn.« Die Augenbraue hob sich noch ein Stückchen höher. » Ihr habt ein Kindermädchen, habe ich gehört?«
    »Na ja …« Mist. Glücklicherweise wurden wir von Ernest unterbrochen, an dessen Arm sich Mum klammerte wie an einen Rettungsring. Wie immer strahlte er uns an, als habe er noch nie etwas Erfreulicheres gesehen.
    »Fein, Grayson hat euch schon die Mäntel abgenommen. Willkommen in der Casa Spencer. Kommt doch durch, Florence wartet mit der Vorspeise.«
    Sowohl Grayson als auch Mia und ich verzichteten darauf, ihm zu erklären, dass wir gar keine Mäntel angehabt hatten (wie auch, wenn unsere Herbst- und Wintersachen noch in irgendeinem Umzugskarton lagerten?). Mum warf uns einen letzten mahnenden Blick zu, bevor wir Ernest und ihr stumm durch eine doppelflügelige Tür in das Ess- und Wohnzimmer folgten. Es war ein hübscher Raum mit Parkett, bodentiefen Fenstern, einem offenen Kamin, weißen, mit Kissen bestückten Sofas, einem Klavier und einem großen Esstisch, von dem man einen wunderbaren Blick in den Garten hatte. Es wirkte großzügig, aber nicht überdimensioniert, und dabei erstaunlich … gemütlich . Nie im Leben hätte ich Ernest solche unstylischen Sofas zugetraut, ein bisschen in die Jahre gekommen, mit zerrupften Kanten und nicht zusammenpassenden, bunten Kissen. Es gab sogar ein lustiges oranges Fellkissen in Katzenform, das sich räkelte, als wir an ihm

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