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Das erste Buch der Traeume

Das erste Buch der Traeume

Titel: Das erste Buch der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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betrieben wurde. Der aktuellste Blogeintrag war von heute Morgen acht Uhr dreißig. Ich hielt kurz den Atem an, als ich den Aufmacher erkannte: Ein Foto von mir, wie ich gerade meinen Spind aufschloss.
    Ach, du Scheiße.
    Hastig las ich, was darunterstand, gleich zweimal, um sicherzugehen, dass ich mich nicht verguckt hatte. Dann holte ich tief Luft. Mondscheinblond, oha. Diese Secrecy (oder war es ein Er?) war ja bestens informiert – nur das mit Papa stimmte nicht, er war weder berühmt noch Atomphysiker, als Ingenieur beschäftigte er sich in der Hauptsache mit der Entwicklung hybridbetriebener Fahrzeuge. Aber der Rest stimmte – und wie gruselig das war! Sie oder er hatte mir in der Nähe des Schließfachs aufgelauert, um mich zu fotografieren. Ich bin mitten unter euch und kenne alle eure Geheimnisse …
    Ich scrollte hinunter zu früheren Beiträgen und begann zu lesen. Schreibstil und Inhalt erinnerten ein bisschen an die Illustrierten, die ich liebend gern im Wartezimmer vom Zahnarzt durchblätterte, nur dass es hier nicht um Promis, Schauspieler und den europäischen Hochadel ging, sondern um die Schüler und Lehrer der Frognal Academy und ihre Familien. Secrecy kannte anscheinend wirklich jedes Geheimnis, je pikanter, desto besser. Sie enthüllte verhängnisvolle Affären, outete schwule Mitschüler, bevor sie es selber tun konnten, und wusste, wer sich von wem trennte und warum. Ihre Artikel waren gnadenlos und boshaft. Und zugegebenermaßen sehr unterhaltsam.
    Es grenzte an ein Wunder, dass angeblich noch niemand herausgefunden hatte, wer sie war – todsicher hegte die Hälfte der Leute, die sie in ihrem Blog bloßgestellt hatte, ihr gegenüber heftige Mordgelüste. Und die andere Hälfte wollte ihr (mindestens) alle Haare einzeln ausreißen. Aus den Kommentaren zu schließen, hatte sie aber auch jede Menge Fans.
    »Versucht gar nicht erst herauszufinden, wer ich bin, das ist bisher noch niemandem gelungen« – für mich las sich das wie eine ganz persönliche Herausforderung. Rätseln und Geheimnissen konnte ich nun einmal nicht widerstehen. Auf jeden Fall verbarg sich hinter »Secrecy« jemand, der Florence oder Grayson näherstand, denn nur die wussten über Mums und Ernests Pläne Bescheid. Und das auch erst seit gestern Abend. Oder hatte Secrecy einfach nur zufällig ein Gespräch belauscht? Hatte sie geheime Informanten? Kannte sie sich mit moderner Abhörtechnik aus? Hackte sie sich in private E-Mail-Accounts?
    Jemand legte eine Hand auf meine Schulter, und ich fuhr zusammen. Ich war so vertieft gewesen, dass ich den Bewegungen, die ich aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, keine Beachtung geschenkt hatte.
    Zu meiner Erleichterung war es aber nicht Persephone, die mich aufgespürt hatte, sondern Grayson. Von dem ich jetzt dank Secrecy wusste, dass er hervorragend Basketball spielte, stellvertretender Chefredakteur der Schülerzeitschrift »reflexx« war und im letzten Jahr einem Mädchen namens Maisie Brown das Herz gebrochen hatte, weil er anstatt mit ihr mit Florences bester Freundin Emily Clark zum Herbstball gegangen war. (Ah! Das war mit ziemlicher Sicherheit die Emily mit dem pickligen Bruder – langsam bekam ich den Durchblick.)
    »Hi«, flüsterte er.
    »Hi«, flüsterte ich zurück.
    Dann bemerkte ich, dass er nicht alleine gekommen war. Ein Stück weiter hinten ließ sich gerade der unterbelichtete Jasper auf einer Tischkante nieder, neben ihm lehnte Henry mit verschränkten Armen an einem Regal.
    Eine Sekunde lang fühlte ich mich in meinen Traum zurückversetzt und sah mich wieder aus der Zeder herabplumpsen, direkt vor ihre Füße. Gerade war ich noch eine Schleiereule, ehrlich.
    Mein Arm lag glücklicherweise über meinem Notizblock, so dass Grayson nicht lesen konnte, was ich aufgeschrieben hatte, aber dafür hatte er längst einen Blick auf den Bildschirm geworfen.
    »Gefällt dir dein Papparazzi-Foto etwa nicht?«, fragte er immer noch im Flüsterton. »Du hattest noch Glück – mich hat sie mal mit einem Eiszapfen an der Nase fotografiert.«
    Ich kicherte. Nach dem Bild musste ich später unbedingt suchen. Jasper und Henry beobachteten uns vollkommen unverhohlen, aber wenigstens konnten sie uns nicht hören, solange wir flüsterten. Ich klappte den Notizblock zu und stützte meinen Ellenbogen darauf ab.
    »Woher weißt du denn, dass Secrecy eine Sie ist?«, fragte ich.
    Grayson zuckte mit den Schultern. »Na, weil sich ein Junge wohl kaum so ausführlich über Spitzen und

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