Das erste Buch der Traeume
anmerken zu lassen.
»Aber hoffentlich glaubst du nicht alles, was Aphrodite Porter-Peregrin dir über mich erzählt hat«, fuhr er fort. »Nämlich nicht Madison hat mit mir Schluss gemacht, sondern ich mit Madison.«
Hä? Endlich erwachte ich aus meiner Erstarrung. »Da bin ich ja beruhigt«, sagte ich sarkastisch. »Ich hatte mich schon gewundert.«
»Na ja, du weißt ja, wie das ist. Irgendwie ist es Mädchen immer peinlich, wenn man sie abserviert.« Jaspers Blick glitt an mir herab und blieb kurz an meinen Beinen hängen. »Obwohl dich bestimmt noch keiner abserviert hat, oder, Liz?«, sagte er mit schmeichelnder Stimme. »Ich könnte mir vorstellen, dass du ohne Brille super aussiehst … stimmt’s, Henry?« Er winkte über meine Schulter. »Guck doch mal, wer hier ist.« Letzteres klang ausgesprochen triumphierend. »Die kleine Liz.«
Ich drehte mich langsam um. Henry stand im Gewühl gleich hinter mir, blasser und verstrubbelter denn je.
Henry also. Diesen Namen hatte er auch in meinem Traum gehabt. Das Merkwürdige war nur: Ich hätte schwören können, dass der Name bei unserer Begegnung mit Persephone und der Pampelmuse gar nicht gefallen war. Wie zur Hölle hatte ich ihn dann in meinem Traum so zielsicher »Henry« taufen können?
Und wieso bekam ich jetzt eine Gänsehaut?
»Jasper« , sagte Henry gedehnt.
Andererseits – vielleicht hatte Grayson seinen Namen ja in dem Telefongespräch genannt, das ich belauscht hatte, außerdem war Henry ein häufiger Name, und irgendwie sah er auch wie ein Henry aus.
»Was denn?« Jasper grinste Henry an. »Man wird ja wohl noch Bekanntschaften auffrischen dürfen.« Er legte einen Arm um meine Schulter. »Liz ist noch ganz verdattert, dass Jasper Grant sich ihren Namen gemerkt hat, stimmt’s?«
»Ja, vor allem, weil es der falsche Name ist«, sagte ich und befreite mich aus seinem Klammergriff. »Ich heiße Olivia.«
»Auch hübsch! Ein sehr süßer Name für ein sehr süßes Mädchen«, sagte Jasper vollkommen unbeirrt. Selbst der echte Rasierspaß-Ken musste ein größeres Gehirn in seinem Plastikschädel haben. »Ich finde aber, du solltest die Haare offen tragen. Das steht dir echt viel besser, vor allem, wenn sie so ein bisschen zerzaust sind … stimmt’s nicht, Henry?«
Henry zog es offenbar vor, zu schweigen. Er hatte Spind Nummer 0015 aufgeschlossen, aber er musterte mich über die Tür hinweg immer noch mit dem gleichen nachdenklichen Gesichtsausdruck, den er auch im Traum aufgesetzt hatte.
Ich schüttelte den Kopf und versuchte mich zusammenzureißen.
Stilberatung von Rasierspaß-Ken und blöde Blicke von Struwwelpeter – es gab wirklich bessere Möglichkeiten, den Tag zu beginnen. Meine Bücher an die Brust gepresst, schob ich mich an Jasper und Henry vorbei.
»Warte doch mal«, rief Jasper hinter mir her, aber ich tat so, als hörte ich ihn nicht. Bloß weg hier, sonst würde ich nie aufhören, an diesen verflixten Traum zu denken!
Allerdings war das leichter gesagt als getan. Alles, aber auch alles an diesem Tag schien mich mit Gewalt an meinen Traum erinnern zu wollen. In Englisch behandelten wir Dichtungen der viktorianischen Epoche und bekamen jeder einen Schriftsteller zugewiesen, dessen Leben und Werk wir der Klasse im Laufe der nächsten Wochen vorstellen sollten. Vor lauter Schreck darüber, dass auch Christina Rossetti auf der Liste stand (verfolgte die mich?), vergaß ich ganz, mich bei Sir Arthur Conan Doyle zu melden, und hätte um ein Haar Emily Brontë nehmen müssen. Glücklicherweise fiel dem Jungen, der sich erst für Elizabeth Barrett Browning entschieden hatte, in allerletzter Minute ein, dass Gedichte Mädchenkram seien. Ich war sehr erleichtert, dass wir tauschen konnten, denn ich hatte mir erst im letzten Schuljahr in Pretoria eine schlechte Note eingehandelt, weil ich »Sturmhöhe« nicht im Sinne der Lehrerin interpretiert hatte. (Ich hatte mich geweigert, Heathcliffs Verhalten mit seiner schlimmen Jugend zu entschuldigen. Dickens’ David Copperfield hatte auch eine schlimme Jugend, aber aus ihm war trotzdem ein netter Mensch geworden.)
Der Musikunterricht in der dritten Stunde hätte mich vielleicht auf andere Gedanken gebracht, aber die Lehrerin hieß Mrs Beckett, und ich war sicher, dass ihr Name auch in meinem Traum gefallen war. Außerdem fühlte ich mich beim Thema »gregorianische Gesänge« zwangsläufig an Arthurs beschwörenden Singsang erinnert. Custos opacum … komm und sprich zu uns . Der Traum
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