Das erste Buch der Traeume
verschwörerischen Lächeln. »Stimmt’s, Liv?« Ihr Blick wanderte zwei Tische weiter, wo sich Florence und Emily niedergelassen hatten. Und der Junge mit der unreinen Haut, den ich aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Emily ganz richtig als ihren Bruder Sam identifiziert hatte, laut Persephone meine Fahrkarte ins Paradies. Ich versuchte deshalb schon die ganze Zeit, mich hinter Pimpelchens breitem Rücken zu verstecken, damit sie mich nicht entdeckten und Florence auf die Idee kam, uns einander vorzustellen. Und ich hoffte sehr, dass sie vor uns mit dem Essen fertig sein würden, denn wir mussten zwingend an ihrem Tisch vorbei, um das Tablett abzugeben.
»Man darf nicht auf den Prinzen auf seinem weißen Pferd warten, sondern muss seine Beziehungen nutzen«, fuhr Persephone fort. »Und man darf auf keinen Fall zu anspruchsvoll sein, was den Ballpartner angeht. Ich war beispielsweise letztes Jahr mit Ben Ryan dort …«
»Ist der nicht schwul?«
»Richtig. So etwas muss einem egal sein, wenn man als Mittelstufler auf diesen Ball will. Mein diesjähriger Ballpartner ist auch nicht meine erste Wahl, wisst ihr, Gabriel kaut an seinen Fingernägeln, und er hat diese Hände, groß wie Klodeckel, aber er ist auf jeden Fall besser als gar kein Ballpartner. Das muss man nämlich pragmatisch betrachten, nicht romantisch. Versteht ihr? Was nicht heißt, dass man nicht nach Höherem streben darf – träumen ist erlaubt.«
Himpelchen und Pimpelchen nickten ehrfürchtig. »Aber es hat nun mal nicht jeder eine Schwester im Ballkomitee«, sagte Himpelchen.
»Und uns fragt ja keiner.« Pimpelchen rührte traurig in ihrem Tiramisu.
»Nun, wahrscheinlich nicht«, stimmte Persephone zu. »Aber ich werde euch alles berichten. Und Fotos zeigen. Das Paar-Foto-Shooting wird übrigens dieses Jahr in einer stilechten, viktorianischen Kulisse stattfinden und hinterher in Sepia ausgedruckt. Man wird dadurch auf den Bildern wie eine authentische Figur aus einem Oscar-Wilde-Roman wirken, Jane Eyre oder so.«
»Oh, wie unglaublich romantisch«, hauchte Himpelchen. »Ich meine natürlich, ganz pragmatisch betrachtet.«
»›Jane Eyre‹ ist nicht von Oscar Wilde. Aber ›Das Gespenst von Canterville‹«, murmelte ich. »Auch sehr romantisch.«
Persephone wollte etwas erwidern, sie holte Luft und zeigte mit dem Löffel auf mich, aber dann erstarrte sie mitten in der Bewegung und riss die Augen weit auf, ein sicheres Zeichen dafür, dass Jasper in Sichtweite war. Ich hätte mich gern darüber lustig gemacht, aber ich war definitiv die Letzte, die das tun durfte. Denn wo Jasper auftauchte, war meist auch Henry nicht weit, und schon der Gedanke an seinen Anblick ließ mein Herz schneller schlagen.
Ich drehte mich um. Und richtig, Jasper, Arthur, Henry und Grayson hatten soeben die Cafeteria betreten, und wie üblich zogen sie alle Blicke auf sich. Es musste schrecklich sein, so angestarrt zu werden. Aber wieso mussten sie denn auch immer alle zusammen aufkreuzen und diese Gleichschrittnummer abziehen? Oder wie jetzt ausgerechnet an der sonnigsten Stelle im Raum stehen bleiben und sich suchend umschauen, so dass ihre Haare in allen Schattierungen von blond aufleuchteten? Damit auch der letzte Depp merkte, wie gut sie aussahen?
Über mich glitten ihre Blicke genauso flüchtig hinweg wie über jeden anderen im Raum, ich war nicht mal sicher, ob sie mich überhaupt wahrnahmen in diesem Meer aus Schuluniformen und Köpfen. Als würde uns nichts verbinden. Als hätte dieses Gespräch im Kino niemals stattgefunden. Als hätte ich es nur geträumt.
Den ganzen Sonntag hatten Mum, Mia, Lottie, Ernest und ich mit Sightseeing verbracht, wie ganz gewöhnliche London-Touristen. Big Ben, Tower, St Paul’s, Hyde Park, Buckingham Palace, Millennium Bridge und das verdammte Riesenrad – Ernest hatte uns überallhin geschleppt und gefühlte zwei Millionen Fotos von uns geschossen. Grayson und Florence waren nicht mit von der Partie gewesen, verständlich, sie wohnten ja schon ihr ganzes Leben lang in dieser Stadt. Florence war allerdings abends mit in die »Hamlet«-Vorstellung im Globe Theatre gegangen, die den Touristentag abschließen sollte, und sie hatte mir die ganze Aufführung verdorben, weil sie neben mir saß und den Text halblaut mitsprach, wenn es spannend wurde. Wie sich herausstellte, hatte sie in der letzten Schulaufführung die Ophelia gespielt. Na klar, die schönste Ophelia aller Zeiten. Ich brachte es aber nicht mehr fertig, sie zu
Weitere Kostenlose Bücher