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Das erste Buch der Traeume

Das erste Buch der Traeume

Titel: Das erste Buch der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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seinen Träumen viel zu verbergen hat. Außerdem ist er viel zu bescheiden und denkt nicht, dass jemand an seinen Träumen interessiert sein könnte.« Er zuckte mit den Schultern. »Und er möchte sich damit auch nicht wirklich beschäftigen, ihm ist das alles einfach nur unheimlich.«
    »Dir nicht?«
    Mit einem Seufzer beugte Henry sich vor und griff nach meiner Gitarre. »Oh doch, sehr sogar. Aber das macht es ja gerade so interessant.«
    Ich nickte. »Ja, genau. Die interessanten Dinge sind immer auch die gefährlichsten«, sagte ich leise. »Und trotzdem muss man ihnen auf den Grund gehen.«
    »Oder genau deshalb.« Abrupt wandte Henry den Blick ab und begann, die Gitarre zu stimmen.
    »Bitte sag, dass du nicht Gitarre spielen kannst!«, entfuhr es mir.
    Er hob eine Augenbraue. »Weil …?«
    »Weil …« Weil das verdammt noch mal zu viel des Guten war! Es reichte doch, dass er schöne Augen hatte und viktorianische Gedichte auswendig rezitieren konnte und dass mir immer ganz warm im Magen wurde, wenn er lächelte … Aber vielleicht spielte er ja furchtbar mies, dann hatte ich wenigstens etwas, das ich an ihm doof finden konnte. Ich sah ihn herausfordernd an. »Kannst du nun spielen, oder tust du nur so?«
    Er zupfte an den Saiten und bedachte mich mit einem überlegenen Lächeln. »Das hier ist ein Traum, Liv, und wenn ich wollte, könnte ich Gitarre spielen wie Carlos Santana. Oder wie Paul Galbraith, je nachdem, was du besser findest.«
    »Oh.« Wer war Paul Galbraith? Ich würde ihn morgen früh googeln müssen.
    Henry begann zu spielen, sehr leise. Bach. Und er spielte gut. Ich starrte auf seine Finger. So eine Technik konnte man doch nicht einfach nur träumen. Oder doch? Im Traum konnte man ja schließlich auch fliegen, ohne genau zu wissen, wie das eigentlich funktionierte.
    Aber trotzdem … hach.
    »Jetzt bist du hin und weg, stimmt’s?«, fragte Henry spöttisch, und ich riss mich zusammen. Immer noch hatte er dieses überlegene Lächeln aufgesetzt.
    »Träum weiter«, sagte ich und legte so viel Verachtung wie nur möglich in meine Stimme. »Dieses Präludium ist so babyleicht, das konnte ich schon als Achtjährige spielen.«
    »Ja, klar doch.« Er stellte die Gitarre beiseite und stand auf. »Ich gehe dann mal. Bevor der Wecker klingelt und diesem schönen Traum ein Ende bereitet.« Sein Lächeln bekam jetzt etwas Unverschämtes. »Vielen Dank für diese interessanten Einblicke in deine Psyche.«
    »Keine Ursache.« Ich unterdrückte das Bedürfnis, mit den Zähnen zu knirschen. »Die Haarspange kannst du gerne behalten. Aber genauso gut kannst du sie mir auch wiedergeben, denn noch einmal wirst du ganz sicher nicht durch diese Tür kommen.«
    »Tja, das will ich hoffen«, erwiderte er, plötzlich wieder ganz ernst. Er nahm die Haarspange aus seiner Hosentasche, legte sie auf seine flache Hand und fixierte sie mit seinem Blick. Der silberne Schmetterling bebte, begann mit den Flügeln zu schlagen und erhob sich in die Luft. Ich starrte ihm mit offenem Mund hinterher.
    »Denk daran, es müssen wirksame Barrieren sein«, sagte Henry. »Und sie müssen nicht nur Menschen fernhalten können.«
    »Sondern?« Nur widerwillig riss ich mich vom Anblick des davonschwebenden Schmetterlings los. »Den Herrn der Schatten und der Finsternis? Den unheimlichen Windmann? Müsste er mir dafür nicht erst mal einen persönlichen Gegenstand klauen, oder hat er solche billigen Tricks nicht nötig?«
    Er seufzte. »Vielleicht solltest du das alles ein bisschen ernster nehmen.«
    »Tut mir leid, das kann ich nicht. Ohne handfeste Beweise glaube ich nicht an die Existenz von Dämonen, die in Träumen herumgeistern und Wünsche erfüllen können.« Ich sah ihm in die Augen. »Du denn?«
    Er hielt meinem Blick stand, ohne zu zwinkern. »Vielleicht ist das, was passiert ist, tatsächlich alles Zufall. Aber vielleicht auch nicht. Wie erklärst du dir das hier?« Er machte eine weitschweifende Geste. »Wie erklärst du dir unsere Träume?«
    So weit war ich in meinen Überlegungen noch nicht gekommen. Ich war ja vorher eingeschlafen, weil ich nach Graysons Abschied so müde gewesen war. »Ich … ähm … Psychologie?«, sagte ich ein wenig trotzig.
    »Psychologie?« Er schnaubte belustigt.
    »Ein noch unerforschtes Gebiet der Psychologie. Ich denke, mit ein bisschen Übung kann jeder so träumen – auch ohne einen Pakt mit dem Teu… äh einem Dämon abzuschließen. Ich habe den Weg durch meine grüne Tür ja auch

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