Das Erste Horn: Das Geheimnis von Askir 1 (German Edition)
oben, kein Luftzug ging, nur mein Atem rauschte in meinen Ohren und fror an meinem Mund.
Wir traten hinaus in eine Nacht, so schwarz und so sternenklar, dass ein jeder Stern mit einer Brillanz erschien, als wolle er uns gefallen. Die beiden Monde waren so scharf und klar gezeichnet, dass ich vermeinte, Formen und Strukturen auf den Sicheln zu erkennen. Es war, als blicke man aus der Tiefe eines Brunnens nach oben.
»Schau«, hörte ich Leandra. Sie sprach kaum lauter als ein Lufthauch.
Über uns, am Firmament, formten die Sterne das Bild eines Wolfs. Ich traute meinen Augen nicht: Wie konnten sich die Sterne selbst verändern? Aber dann verstand ich. Hier war die altbekannte Hand Astartes mit ihrer Ähre, dort das Schwert Borons, aber zwischen ihnen standen Sterne, die man sonst nicht sah, und sie verbanden die Zeichen unserer Götter zu jenem eisigen Wolf, der nun über unseren Häuptern das Firmament beherrschte. Vor den Nüstern des Wolfs schien die Luft zu flimmern, als atme er, doch das war nur die heiße Luft aus dem Kamin. Hier oben war selbst der Kamin vereist; ein Stück Stein war von ihm abgesprungen und lag, in Eis gepackt, zu meinen Füßen.
Um uns herum zuckten Blitze in der Ferne, doch der Donner erreichte uns nicht. Der Sturm war noch immer dort, wo er seit Tagen stand, eingefroren an einem Ort, genau wie wir es waren.
Als ich ihr antworten wollte, spürte ich, dass sich meine Lippen schwer taten, sich von meinem Umhang zu lösen. Wortlos begaben wir uns wieder nach unten.
Vorhin war mir der Raum der Familie kühl erschienen, jetzt war die warme Luft eine Wohltat, die meine Haut mit tausend Nadelstichen quälte und meine Augen tränen ließ. Ich ließ mich in einen Stuhl sinken und sah zu, wie der Treppenaufgang wieder verschlossen und versiegelt wurde.
»Was ist es?«, fragte Eberhard furchtsam.
»Es ist die Kälte, Wirt«, antwortete ich ihm mit steifen, schmerzenden Lippen. Ich bewegte meine Hände: Sie waren feuerrot und prickelten, als hätte ich sie in heißes Wasser getaucht. »Die Kälte bricht den Stein.«
Eberhard bat uns, auch die anderen Räume des Gasthofs zu untersuchen, um festzustellen, wie weit das Eis nun vorgedrungen war. Also suchten Leandra und ich auch unser Zimmer auf. Allein der Gang dorthin war schon mit eisigen Blumen verziert, die vor wenigen Stunden noch nicht dort gewesen waren. Letzte Nacht hatte Leandra einen Zauber gewirkt, der uns Wärme gab, diese Nacht erschien allein der Gedanke daran sinnlos, denn das Eis war endgültig eingedrungen in das Gemäuer.
»Mit all dem, was zu tun war, Martins Leiche, die Versorgung der anderen Töchter im Turm, ist es kein Wunder, dass niemand auf die Glut im Kamin achtete«, sagte ich dann.
Leandra schüttelte leicht den Kopf. »Schau doch, es ist Glut im Kamin.«
Ich betrat den Raum vorsichtig und löste meinen Packen aus dem Eis. »Wie kann das sein? Wie kalt kann Kälte werden?«
Leandra nahm ebenfalls ihren Packen auf, oder versuchte es, denn eine der ledernen Schlaufen brach. Vorsichtig nahm sie ihr Buch, das von der Kälte nicht berührt schien, und steckte es ein, dann verließen wir den Raum, schlossen die Tür sorgfältig hinter uns und begaben uns zurück.
»Um auf deine Frage einzugehen«, sagte Leandra, als ich an der Tür zum Turm klopfte, »der Großmagister unserer Schule sagte, dass es möglich sei, Luft gefrieren zu lassen, so dass sie niederfällt wie Schnee.«
»Er meinte sicherlich den Atem.«
»Nein. Er meinte, die Luft selbst könne zu Eis werden.«
»Das kann nicht sein.«
Sie blieb stehen und sah zu mir auf. »Bist du sicher?«
Der Wirt begrüßte uns mit sehr willkommenem heißem Tee. »Wir fanden überall das Gleiche«, teilte Leandra dem Wirt mit, während ich ihre Hände massierte. »Die Tiere im Stall – ein paar werden überleben, aber nicht viele. Schmiede und Lager – die Kälte schneidet dort Messern gleich. Die oberen Stockwerke …« Sie schüttelte den Kopf. »Dass Ihr hier Wärme habt, verdankt Ihr dem Baumeister des Turms und seinen dicken Mauern. Aber alles, was sonst über den Schnee ragt, ist Opfer der Kälte geworden. Nur noch dieser Ort, der Gastraum, Küche und Waschküche, bieten Schutz vor der Kälte.«
Der Wirt nickte verdrossen. »Ich verstehe.« Er suchte meinen Blick. »Ser, sagt mir die Wahrheit … werden wir sterben?«
»Noch nicht. Durch deinen Fleiß und deine Voraussicht haben wir Brennmaterial – zur Not versammeln wir uns in der Küche um die Öfen. Aber
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