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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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schickten, Weihnachten anriefen und jede Woche mindestens einen Brief schrieben, hatte Margaret heftige Sehnsucht nach ihnen. Ihre Eltern hatten davon gesprochen, dass sie sie besuchen wollten, aber die Kosten der Reise waren beinahe unerschwinglich für sie. Die billigste Lösung wäre es gewesen, wenn Margaret zu Besuch nach Hause geflogen wäre, aber sie wollte, dass ihre Eltern Kenia kennenlernten, das war ihr beinahe genauso wichtig wie ihr Besuch bei ihr und Patrick.
    Geschirr häufte sich im Spülbecken und auf der roten Resopalplatte daneben. Auf dem Esstisch stand alles noch herum wie am Abend zuvor nach dem Essen. Margarets Polyesterbademantel war schmuddelig. Die Trägheit, die sie zum Wochenende erfasst hatte, war beinahe wie eine Lähmung. Wenn Patrick aus dem Arbeitszimmer kam und nach Stunden am Schreibtisch die Unordnung sah, würde er sich zweifellos darüber ärgern, dass Margaret, die sonst nichts zu tun hatte, keinen Finger gerührt hatte. Sie sah sich die bräunlichen, von Fusselknötchen rauen Manschetten ihres Bademantels an. Margaret musste die Wäsche zu einer Wäscherei bringen. Sie trug ihre Blusen zwei und drei Tage hintereinander, um das Unvermeidliche hinauszuschieben.
    Seit Wochen schrieb sie Briefe an Senatoren und Abgeordnete in den Staaten, an Freunde, die Verbindungen zur Politik hatten, an Amnesty International, an die New York Times, sogar an ihre alte Zeitung. Sie schrieb, dass Solomon Obok festgehalten wurde und, wie es hieß, unter menschenunwürdigen Bedingungen in einem Erdloch an einem der schrecklichsten Orte Kenias sein Dasein fristete. Nach dem, was sie anderen kenianischen Zeitungen hatte entnehmen können, waren ihm weder Besuche noch Bücher gestattet. Sie fragte sich, ob er in diesem Erdloch, das allzu viel Ähnlichkeit mit einem Grab hatte, überhaupt ein Bett zum Schlafen und einen Stuhl zum Sitzen hatte.
    In jedem Artikel, den sie las, wurde ein anderer Aufenthaltsort für Obok angegeben. Vielleicht wurde er absichtlich alle paar Tage verlegt, um alle Hoffnung auf Rettung zunichtezumachen. Nach jenem ersten Bericht im Evening Standard war nirgends mehr etwas davon erwähnt worden, dass Solomon einer Geschichte über fünfzig ermordete Studenten, die in einem Massengrab verscharrt waren, auf der Spur gewesen war. Bisher war keine Anklage erhoben worden.
    Auf die Berufung eines Kikuyu zum neuen Chefredakteur der Kenya Morning Tribune folgten Massenentlassungen, die alle Luo trafen, unter ihnen Lily. Es war, dachte Margaret, eine Art stillschweigender Übernahme. Die Partei, die an der Macht war, lenkte jetzt alle Nachrichtenmedien und konnte so dem Volk ihr eigenes Bild von Kenia präsentieren.
    Praktisch ein Putsch, in Margarets Augen.
    Sie hatte bisher kein Wort von der Zeitung gehört und bezweifelte, dass sie je wieder einen Fotoauftrag bekommen würde. Patrick hatte sie nichts gesagt von den Briefen, die sie geschrieben hatte, obwohl jeden Tag die ersten Antworten eintreffen konnten. Dann würde er die Absender sehen und sie danach fragen. Würde er es wagen, die Briefe selbst zu öffnen? Möglich war es. Er würde erklären, er sei um ihre Sicherheit besorgt, und gewiss wäre er das auch wirklich. Aber es würde ihm auch um seine eigene Sicherheit gehen und vor allem um die Möglichkeit, seine Forschungsarbeit abzuschließen.
    Am Abend jenes schrecklichen Tages, als sie das letzte Mal in der Redaktion gewesen und danach stundenlang durch die Stadt gelaufen war, hatte Patrick gesagt, es sei an der Zeit, nach Hause zu fahren. Seitdem hatte er kein Wort mehr darüber verloren. Was er gemeint hatte, war, dachte Margaret, dass sie nach Hause zurückkehren solle und er später folgen würde. Aber wann, das stand in den Sternen. Eines Abends beim Essen hatte er kurz davon gesprochen, dass er nach Südafrika zu einer Konferenz reisen würde, aber auch davon war später nie mehr die Rede gewesen.
    Wenn Margaret die Sorgen, die sie oberflächlich beschäftigten, von sich abgleiten ließ, begriff sie, dass sie immer noch um die Tage im Krankenhaus trauerte, die selbst eine Zeit der Trauer gewesen waren. Sie wollte sich nur an Rafiqs letzten Besuch erinnern – an das gedämpfte Licht, die zarte Berührung seiner Finger, ihre verzehrende Sehnsucht, in der sich das Verlangen nach Regen und nach dem Mann mischten –, voller Angst, dass die Erinnerung verblassen und vergehen würde, wenn sie aufhörte, an sie zu denken.
    Sie hatte nichts von Rafiq gehört. Sie glaubte auch

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