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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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lehnte sich mit verschränkten Armen an die Kante. »Du hast gestern Abend noch den Auftrag bekommen, einen pakistanischen Diplomaten zu fotografieren.«
    »Ja.«
    »Das muss nach Oboks Festnahme gewesen sein.«
    »Wahrscheinlich.«
    »Aber mir hast du gestern Abend keinen Ton davon gesagt.«
    Margaret stellte ihre Fototasche auf das Sideboard. »Ich habe es erst heute Morgen erfahren«, wiederholte sie.
    »Es fällt mir schwer, das zu glauben.«
    »Glaub, was du willst.«
    »Mir ist noch etwas aufgefallen«, sagte er, die Tribune zur Hand nehmend.
    »Was denn?«
    »Hier ist nirgends ein Foto von einem pakistanischen Diplomaten.«
    »Die Soldaten haben mir gestern Abend den Film weggenommen.«
    »Es heißt, dass dein Freund Rafiq Hameed deportiert worden ist.«
    »Ja.«
    »Wie fühlst du dich dabei?«
    »Wie ich mich dabei fühle?«, fragte Margaret fassungslos. »Ich finde es schrecklich.«
    »Was hast du den ganzen Tag gemacht?«
    »Weißt du was, Patrick«, sagte Margaret. »Ich habe es allmählich satt, jedes Mal verhört zu werden, wenn ich zur Tür hereinkomme. Ich beantworte noch diese eine Frage und dann keine mehr. Wenn du wissen willst, was ich den ganzen Tag gemacht habe, bitte sehr. Ich bin in der Stadt herumgelaufen. Die Zeitung will nicht mehr mit mir zusammenarbeiten. Ich musste nachdenken. Über vieles.«
    Patrick sah sie lange forschend an. Margaret verzog keine Miene.
    »Vielleicht wird es Zeit für dich, nach Hause zu fahren«, sagte er.

Teil 3

 
    I m Bademantel, die Hüfte ans Fensterbrett gelehnt, blickte Margaret in den verwilderten Garten hinunter. Auf den Blättern lag ein feuchter Glanz, und sie hörte das Geräusch fallender Tropfen, Regen, der auf Regen folgte. Die ursprüngliche Anlage des Gartens war noch zu erkennen, eine Raute innerhalb eines Kreises, der sich wiederum im Inneren eines Quadrats befand. Wie viele Monate oder Jahre war es her, dass ein Gärtner das letzte Mal die Fußwege von Unkraut befreit, die Bougainvilleen ausgedünnt, die Lilien zurückgeschnitten hatte? Rosen, einzelne blassgelbe Blüten, hingen an langen, dicken Stielen über dem wuchernden Chaos. Polster aus kleinen gelben Blüten lagen beinahe zugedeckt unter kriechenden Ranken. In einer Ecke bemerkte Margaret etwas, das ein Standbild hätte sein können, obwohl sie nur Teile von Stein oder Gips erkennen konnte.
    Wenn sie die Energie oder den Mut gehabt hätte, hätte sie den Sikh angerufen und angeboten, den Garten wieder lebendig zu machen. Sie würde Hilfe dabei brauchen – jemanden, der mehr Kraft hatte als sie, und gute Werkzeuge, um die dicken Äste zu beschneiden –, aber bisher hatte Margaret es aus Angst vor Schlangen vermieden, auch nur einen Fuß in den Garten zu setzen. Die Schichten aus Blüten, Laub und Zweigen schienen das ideale Versteck für lauernde Reptilien zu sein. Dennoch gefiel ihr die Wildnis. Sie zog sie den wohlgepflegten Gärten um die Häuser in Langata und Karen vor. Dieses Stück trauriger, verwahrloster Vegetation war wenigstens ehrlich. Wie lange noch, bis überhaupt keine Blüten mehr zu sehen sein würden? Würden die Rankpflanzen sich unter das Haus graben und sein flaches Fundament sprengen? Würde die Bougainvilleen die Mauern hinaufkriechen und sich durch die Fensterritzen schieben?
    Patrick arbeitete seit dem frühen Morgen in seinem Arbeitszimmer. Margaret kannte seinen Tagesablauf besser, als sie ihren eigenen vorhersagen konnte. Am Wochenende stand er jeden Tag um sieben auf, wusch sich das Gesicht mit Krankenhausseife und machte sich eine Kanne Kaffee und eine Schale Weetabix. Die zweite Tasse Kaffee und einen Teller mit Toast, der mit Ananasmarmelade bestrichen war, nahm er dann mit in sein Arbeitszimmer und ließ sich stundenlang nicht mehr blicken. Heute würde er rechtzeitig erscheinen, um mit ihr zum Sonntagsessen bei einem Kollegen und seiner Frau zu fahren, die beide erst vor Kurzem aus London angekommen waren. Das Sonntagsessen schien bei den Briten immer noch obligatorisch zu sein, ein Ritual, das heiliger war, dachte Margaret, als der Kirchgang. Sie hatte sich erboten, einen Aprikosen-Käsekuchen zum Nachtisch zu backen, hatte aber nicht einmal die Energie aufgebracht, die Springform herauszuholen, geschweige denn die Zutaten zusammenzustellen.
    Bei dem Gedanken ans Kuchenbacken musste Margaret an ihre Mutter denken. Einen Moment zog es ihr das Herz zusammen. Sie und Patrick waren seit vierzehn Monaten von zu Hause weg, und obwohl ihre Eltern Tonbänder

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