Das erste Jahr ihrer Ehe
»Alles in Ordnung?«, fragte er. Als er vorher zu ihr an den Tisch gekommen war, war sie aufgestanden und hatte ihn umarmt, und er hatte sie erst losgelassen, als sie aufhörte zu zittern.
»Ja, jetzt geht’s wieder. Ich frage mich nur, was sie getan hätten, wenn ich nicht klein beigegeben hätte.«
Patrick zuckte mit den Schultern.
»Mit graut einfach vor dem ganzen bürokratischen Aufwand bei der Polizei«, sagte Margaret, um das Thema zu wechseln. »Du hast das doch bei den Reifen erlebt.«
Patrick nickte. »Ich rufe jetzt gleich mal Arthur an. Er kann dich mit nach Hause nehmen.«
»Nein, kann er nicht«, widersprach sie. »Ich habe ihn in die Stadt mitgenommen.«
»Du hast Arthur mitgenommen?«
»Sein Wagen ist nicht angesprungen, und Diana brauchte den Landrover für die Kinder.«
Patrick nahm einen kräftigen Schluck von seinem Bier. »Was hältst du eigentlich von Arthur?«
Die Frage überraschte Margaret. Sie erschien ihr vollkommen unpassend, ein Thema, über das sie vielleicht später hätten diskutieren können. Unsicher, warum Patrick die Frage überhaupt stellte, gab sie ihre Antwort.
»Er ist selbstgefällig und ein bisschen arrogant. Ich weiß nicht, ob er sich nur uns gegenüber so verhält, weil wir – weil ich – eine naive Amerikanerin bin. Aber ich vermute, es ist einfach seine Art. Manchmal glaube ich, er meint es nur gut, und manchmal habe ich den Eindruck, wir sind so eine Art Spielzeug für ihn – wie das Quietschtier eines Hundes.«
»Tatsache ist aber«, sagte Patrick, »dass dieses Land Männer wie Arthur braucht, um sich über Wasser zu halten. Und es braucht auch das Kapital seiner Firma. Es ist kein Geheimnis, dass der Tourismus einbrechen wird, wenn Kenyatta nicht mehr da ist. Das Land braucht dringend Industrie – Kaffee und der Vertrieb von Kunsthandwerk allein reichen nicht.«
»Du magst Arthur also«, sagte Margaret, einigermaßen verblüfft darüber, dass ihr Mann so schnell den Nutzwert eines Menschen überschlagen konnte. Sie fragte sich, ob er das bei ihr auch getan hatte, verwarf den Gedanken jedoch sofort.
»Ich halte mich mit einem Urteil über andere zurück, solange sie nicht irgendetwas Ungeheuerliches tun.«
»Und was ist mit Diana?«, fragte Margaret.
»Diana ist elitär und zwanghaft beschäftigt.«
»Womit?«
»Mit ihren Hunden.«
Margaret lachte. Sie trank einen Schluck Tusker und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Das Café war halb voll, die Ausländer waren knapp in der Überzahl.
»Fahr mit mir ins Krankenhaus zurück«, sagte Patrick und öffnete seine Brieftasche. »Von da organisieren wir dir eine Fahrgelegenheit, und ich erledige dann das mit der Polizei.«
Sie schaute zu einem Nachbartisch hinüber, wo ein junger Mann, der wie ein Student aussah, bei einer Tasse Tee ein Lehrbuch las. Ihr fiel das Gerücht wieder ein, das sie hier vor Kurzem zufällig mitgehört hatte. Sie beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme. »Patrick, weißt du etwas von fünfzig Studenten, die umgebracht und in einem Massengrab verscharrt worden sind?«
Patricks ganzer Körper wurde reglos, als hätten sämtliche Muskeln aufgehört zu funktionieren. »Wo hast du denn das gehört?«, flüsterte er.
»Hier. Zwei Studenten am Tisch neben mir haben darüber gesprochen.«
Patrick rückte näher. »Was hast du noch gehört?«
»Warum?« Sie sah ihn forschend an. »Es ist wahr, oder?«
Er sah weg.
Margaret fasste ihn am Arm. Sie spürte etwas wie ein Nachbeben auf seiner Hautoberfläche.
»Warum hat die Presse nicht darüber berichtet?«
Patrick schwieg eine ganze Weile. »Keine Zeitung in diesem Land würde die Geschichte drucken.«
»Warum nicht?«
»Die Presse wird vom Staat gelenkt, Margaret. Wer so etwas drucken würde, wäre seinen Job los und würde wahrscheinlich sofort verhaftet werden.«
»Könnten dann nicht wir die Geschichte öffentlich machen?«, fragte sie, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, was sie da vorschlug. »Sie der New York Times zuspielen, zum Beispiel. Oder sonst jemandem? Ich meine, das – das ist doch ungeheuerlich. Fünfzig Studenten in einem Massengrab!«
»Sie würden uns auf der Stelle deportieren. Oder Schlimmeres.« Er definierte das Schlimmere nicht näher. »Ich habe die Geschichte selbst nur aus zweiter Hand. Ich kann nicht verraten, von wem ich sie gehört habe. Die Gründe dürften wohl klar sein.«
»Aber das kann nicht richtig sein«, protestierte Margaret kopfschüttelnd. »Das ist
Weitere Kostenlose Bücher