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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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überzeugt, sagte es aber nicht, dass ein Mann ihr nur genug Schillinge in den Blechnapf hätte legen müssen, um so viele Aufnahmen machen zu dürfen, wie er nur wollte.
    Mr. Obok lehnte sich in seinem ungepolsterten Drehsessel aus Holz zurück und sah Margaret zum ersten Mal richtig an. Es hatte sie überrascht, wie gedrängt die Leute in der Redaktion der Kenya Morning Tribune saßen. Nur Mr. Obok hatte seinen eigenen abgeschlossenen Bereich. Einige Stühle standen im Raum verteilt – für Redaktionsbesprechungen, vermutete sie. Um zum Chefredakteur zu gelangen, hatte sie ein Großraumbüro mit etlichen Schreibtischen durchquert, an denen Reporter, Sekretärinnen und Leute vom Anzeigenverkauf arbeiteten. Kaum einer hatte ihr einen Blick gegönnt. Sie wusste, dass die Herstellung einer Zeitung höchste Konzentration erforderte. Die Reporter waren ständig auf der Jagd nach einem heißen Tipp; die Werbeleute nach guten Anzeigenverkäufen. Auf jedem Schreibtisch standen eine manuelle Schreibmaschine und ein Telefon. Es gab nirgends ein Fenster, der ganze Raum hatte den Charme einer Fabrikhalle.
    »Wie lange waren Sie für diese Zeitung in Boston tätig?«
    »Ich habe gleich nach dem Studium dort angefangen.«
    »Das nenne ich Glück.«
    »Höre ich da einen amerikanischen Akzent?«, fragte Margaret.
    »Ich habe in Indiana studiert.«
    Margaret konnte sich Mr. Obok in Indiana nicht vorstellen. »Tatsächlich? Wo denn da?«
    »An einem kleinen Quäkercollege namens Earlham. Ich bin in einer Quäkerfamilie großgeworden.«
    Wegen seines Namens und seiner äußeren Erscheinung hatte Margaret vermutet, Mr. Obok sei Luo oder Angehöriger einer den Luo ähnlichen nilotischen Volksgruppe. Sich vorzustellen, dass die Quäker sich sein Heimatdorf ausgesucht hatten, um dort zu missionieren, fiel ihr schwer.
    »Und wie sind Sie mit den Wintern in Indiana zurechtgekommen?«, fragte sie.
    Mr. Obok lächelte breit – auberginedunkle Lippen, weiße Zähne mit einem Violettschimmer nahe dem Zahnfleisch –, dann lachte er. »Im ersten Jahr dachte ich, ich würde es nicht überleben. Dieser Schnee, der brennt wie Feuer im Gesicht, nicht wahr?«
    »Das stimmt, ja.« Margaret dachte an Schneestürme in Boston oder, schlimmer noch, einen Eissturm.
    »Für wie lange sind Sie hier?«, fragte er.
    »Wir sind seit acht Monaten hier und wollen drei Jahre bleiben«, antwortete Margaret, obwohl sie es nicht sicher wusste. Sie bezweifelte, dass irgendjemand ihr Arbeit geben würde, wenn sie sagte, sie wolle nur ein Jahr bleiben.
    »Sie sind verheiratet?«
    »Ja.«
    »Und was macht Ihr Mann?«
    »Er ist am Nairobi Hospital. Er forscht über Tropenkrankheiten. Dafür hält er bei Bedarf im ganzen Land freie Sprechstunden.«
    »Und er bleibt drei Jahre?«
    Margaret wusste, dass dieser Punkt sich nachprüfen ließ. »Ja, davon gehen wir aus«, sagte sie, überzeugt, dass Mr. Obok ihr die Unsicherheit vom Gesicht ablas.
    »Sie haben keine Arbeitserlaubnis?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Das macht nichts. Sie kommen als freie Mitarbeiterin zu uns. Fast alle unsere Fotografen arbeiten auf dieser Basis mit uns zusammen. Entweder bekommen Sie einen festen Auftrag von mir, oder ich kaufe Ihnen Aufnahmen ab, die ich möglicherweise später einmal brauche. Ich würde beispielsweise vier von diesen hier kaufen.« Er wies auf die Mappe. Margaret war hocherfreut. »Wir können allerdings nicht viel bezahlen«, fügte er hinzu.
    Damit hatte Margaret gerechnet. Sie hatte schon sagen wollen, dass sie bereit sei, umsonst zu arbeiten, hatte das dann aber doch nicht getan.
    »Für drei gute Aufnahmen im Rahmen eines Auftrags bekommen Sie einhundertfünfzig Schillinge.«
    Ungefähr zwanzig Dollar, rechnete Margaret aus.
    »Nicht viel, an amerikanischen Verhältnissen gemessen«, fügte er hinzu, »aber ich kann Ihnen eine ganze Menge Arbeit anbieten. Wir haben hier nicht genug Leute.« Er lächelte. »In einer guten Woche könnten Sie auf bis zu zehn Aufträge kommen.«
    Zweihundert Dollar die Woche. Und mehr, wenn Mr. Obok ihr ab und zu ein Bild aus ihrer eigenen Kollektion abkaufte. Sie beschloss, es zu wagen. Sie würde Aufnahmen wie die von der Bettlerin mit ihren Kindern machen. Zweihundert die Woche würden Patricks bescheidenes Einkommen erheblich aufbessern. Darüber konnte er sich doch nur freuen.
    »Das klingt gut«, sagte sie, bemüht, nicht zu viel Begeisterung zu zeigen.
    Mr. Obok hatte ein gewinnendes Lächeln. »Ich habe im Gegensatz zu einigen

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