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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Chefsekretärin, plauderte, einer Frau mit beißendem Witz, der das Warten angenehm verkürzte. Sie war überrascht, als ein hochgewachsener Asiate zu ihr trat, ihr die Hand bot und sich vorstellte.
    »Rafiq Hameed«, sagte er.
    Margaret sagte nichts.
    »Und Sie sind Margaret«, fügte er hinzu.
    »Ja. Entschuldigen Sie. Ich hatte erwartet – nein, wunderbar«, plapperte sie.
    »Und wir sollen uns mit einer Lehrerin unterhalten.«
    »Ja.«
    Er lächelte, ob über ihre plötzliche Verlegenheit oder nur, weil er sich auf dieses Interview freute, vermochte Margaret nicht zu sagen. Rafiq hatte die lichtbraune Haut eines Inders oder Pakistanis und das tiefschwarze Haar, das hier alltäglich war (er trug allerdings weder Schnauzer noch Bart), doch seine Gesichtszüge waren ausgesprochen europäisch.
    Er sah auf seine Uhr. »Wir müssen los. Wir nehmen meinen Wagen. Er steht gleich vor der Tür.«
    Rafiq hatte ein Auto. Das war doch mal eine angenehme Abwechslung.
    Während Margaret sich noch von Lily verabschiedete, hielt Rafiq ihr zur ihrer Überraschung die Tür auf. Jagdish rannte meistens los wie von der Tarantel gestochen und dachte sich gar nichts dabei, Margaret die Tür vor der Nase zufallen zu lassen. Er war entweder ein durch und durch emanzipierter Mann oder schlicht unhöflich. Margaret hatte sich für Letzteres entschieden.
    »Dieses Interview gehört zu einem größeren Text über das Bildungssystem in Kenia, an dem ich seit einigen Wochen arbeite«, erklärte Rafiq, als sie die drei Treppen hinunterliefen. »Offenbar liegt dem Ministerium sehr viel daran, dass die Tribune so einen Bericht bringt, weil die Bildung so ziemlich das einzige Gebiet ist, auf dem die Initiativen der Regierung tatsächlich greifen. Natürlich gibt es hundert Probleme, aber alle Kinder wollen zur Schule gehen.«
    »Es wundert mich, dass ich Sie vorher noch nie gesehen habe«, sagte Margaret.
    »Tja, dafür habe ich Sie gesehen.« Rafiq neigte den Kopf leicht zur Seite. »Eine junge Weiße mitten in diesem Meer von Braun und Schwarz ist schwer zu übersehen.«
    Margaret wollte einwenden, dass außer ihr noch einige andere weiße Frauen (na ja, genau gesagt, zwei) bei der Zeitung arbeiteten, aber sie ließ es bleiben.
    »Was ist das für ein Auto?«, fragte sie, als sie neben ihm im Wagen saß.
    »Ein Citroën«, sagte er und manövrierte den Wagen aus der Parklücke heraus. »So ziemlich der kurioseste fahrbare Untersatz, den es gibt. Hat Obok Ihnen erklärt, was er haben will?«
    »Porträts«, antwortete sie.
    »Wir müssen nach Parklands. Ich vermute, er möchte ein paar Kinder auf den Bildern haben, aber vielleicht auch nicht.«
    »Ich mache einfach ein bisschen was von beidem«, sagte Margaret.
    Rafiq trug wie Jagdish die Uniform des seriösen Journalisten – Jackett, Krawatte, weißes Hemd –, aber er sah längst nicht so zerknautscht und ungepflegt aus. Sie versuchte, sein Alter zu schätzen, ohne Erfolg. Das Jackett und die Krawatte ließen ihn wahrscheinlich älter wirken, als er war. Margaret hatte mit ihren Altersschätzungen bei Asiaten die gleichen Schwierigkeiten wie bei Afrikanern.
    »Sie sind also aus Amerika?«, fragte er.
    »Ja, aus Boston in Massachusetts.«
    »Und das liegt am Meer.«
    »An der Nordostküste. Eiskalt im Winter.«
    »Ah ja. Und was hat Sie nach Kenia geführt?«
    »Mein Mann ist Arzt und arbeitet hier über Tropenkrankheiten.«
    »Wichtige Arbeit.«
    »Ja.«
    Sie dachte an Patrick, der an der kenianischen Küste war, und versuchte sich auszumalen, was er gerade tat. Impfte er Kinder aus armen Familien oder saß er an einem weißen Strand und überlegte, ob er ins Wasser gehen und eine Runde schwimmen sollte? Nein, das war nicht fair; Patrick war alles andere als ein Faulpelz. Trotzdem, sie wäre gern mit ihm irgendwo am Strand gewesen.
    »Und Sie?«, fragte sie. »Wie lange sind Sie schon in Kenia?«
    »Seit 1972, als die Asiaten aus Uganda vertrieben wurden. Eigentlich bin ich Ugander.«
    »Während der politischen Säuberungen?«
    »Sechzigtausend von uns«, sagte er ohne Bitterkeit. »Die Asiaten bestimmten Wirtschaft und Handel. Idi Amin wollte uns loswerden, um die Firmen und Arbeitsplätze Afrikanern zu geben. Und dazu unseren gesamten Grundbesitz.«
    »Das muss der reine Terror gewesen sein.« Margaret konnte sich nicht vorstellen, wie es war, wenn einem alles genommen und man mit Gewalt aus dem eigenen Haus, aus dem eigenen Land vertrieben wurde. Sie dachte an ihre Eltern in ihrem

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