Das erste Jahr ihrer Ehe
Vororthaus, in dem sie ihr ganzes Eheleben lang gelebt hatten.
»Ja, für ein ganzes Volk war das natürlich schlimm«, sagte Rafiq, »aber ich glaube, für meine Eltern war es ein Tritt in den Allerwertesten. Plötzlich fiel ihnen ein, dass sie ja eigentlich nach Pakistan zurückwollten.«
»Ihre Eltern sind Pakistanis?«
»Mein Vater, ja. Meine Mutter kommt aus Wales.«
Margaret drehte den Kopf und sah ihn an. »Tatsächlich?«, fragte sie. »Sie haben überhaupt keinen walisischen Akzent.«
Er lachte. »Nein. Ich bin in England zur Schule gegangen. London schleift alles ab, was man an Ecken und Kanten so mitbringt.«
Der Citroën war winzig. Rafiqs Knie stießen an das Armaturenbrett.
»Waren Sie noch in der Ausbildung, als Ihre Familie ausgewiesen wurde?«
»Ja, ich studierte Jura an der Makerere-Universität. Ich wollte eigentlich dort weitermachen, aber mein Vater verlor sein gesamtes Vermögen. Daher dieser Job. Ich spare für die Studiengebühren. Aber ich bin erst seit sechs Monaten bei der Tribune . Vorher war ich bei meinem Onkel im Geschäft, er hat einen Fahrradhandel. Nur musste ich da leider entdecken, dass ich als Vertreter völlig unbrauchbar bin.«
»Macht es Ihnen etwas aus, als Reporter arbeiten zu müssen?«
»Nein, komischerweise überhaupt nicht. Es gibt wahrscheinlich keinen besseren Weg, ein Land wirklich kennenzulernen.«
In Parklands, einem Vorort von Nairobi, lebten vor allem höhere Angestellte afrikanischen und asiatischen Ursprungs, aber auch einige Weiße. Sie fuhren durch ruhige Straßen mit Häusern, die alle im Wesentlichen gleich aussahen: verputzter Stein und rot gedeckte Dächer. Das Viertel hätte eine Vorstadt von London sein können – mit einem angenehmeren Klima.
In der Schule (ein Steinbau mit zweiflügeligen Sprossenfenstern; Margaret hätte sie für ein Wohnhaus gehalten) wurden sie vom Direktor empfangen, der sie mit seinen Mitarbeitern bekannt machte. Unwillkürlich verglich Margaret, während sie sich umsah, diese Schule mit der, die sie in den Staaten besucht hatte. Statt der betonierten Parkplätze gab es hier in Parklands einen großen Garten mit üppiger Blumenpracht: Nelken, Lavendel, Feuerlilien und Rosen. Statt der Footballfelder gab es Cricket- und Fußballplätze. Vormittags um elf wurde Lehrern wie Schülern Tee serviert. Selbst in den Schulen gab es Hausangestellte.
Während Margaret fotografierte, hörte sie dem Gespräch Rafiqs mit der Lehrerin zu, um derentwillen sie hergekommen waren. Sie war eine hübsche, offenbar westlich orientierte Afrikanerin. Das Kleid, das sie trug, hatte Margaret schon bei Jax bewundert, einem Laden, der gern von europäischen Frauen mit einer Vorliebe für einen Mix aus afrikanischer und europäischer Mode aufgesucht wurde. Sie trug die Haare im Afrolook, und um ihren Hals lag eine Kette aus dicken Glasperlen. Auf dem Foto, das in der Zeitung erscheinen würde, sah sie mit einem asiatischen Jungen mit Topffrisur Schularbeiten durch. Der Junge blickte sie mit großen Augen an, während sie allem Anschein nach versuchte, ihm etwas zu erklären.
In Kenia genossen Lehrer hohes Ansehen und nahmen bei Eltern und Kindern eine geachtete Stellung ein. Margaret hatte bei afrikanischen Kindern nie die Widerspenstigkeit erlebt, die an amerikanischen Schulen Alltag war. In Afrika trugen die Kinder Schuluniformen und bezahlten hohes Schulgeld, das das Budget vieler Familien stark belastete. Schon einmaliges Fehlverhalten konnte zum Schulausschluss führen.
Wenn Margaret nicht fotografierte, beobachtete sie Rafiq, der sich völlig entspannt unter den Kindern bewegte und im Gespräch oft in die Hocke ging, um ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Während Jagdish, trocken und unpersönlich, einzig an den Fakten interessiert war, die er brauchte, und häufig etwas von seiner Depressivität (die auch auf seine Gesprächspartner dämpfend wirkte, ganz zu schweigen von der Fotografin) in die Gespräche hineintrug, schaffte es Rafiq mit seiner ungezwungenen Art, den anderen die Nervosität zu nehmen und sie mit seinen lockeren Fragen, bei denen er oft ins Mundartliche verfiel, zum Reden zu ermuntern.
Nach dem Interview tranken Rafiq und Margaret mit der Lehrerin und dem Direktor Tee. Bei seinem Gespräch mit der Lehrerin hatte Rafiq ein kleines Tonbandgerät verwendet, das jetzt auf dem Schreibtisch des Direktors stand. Während der Diskussion, die sich um die Schulen im Allgemeinen drehte, beklagte der Direktor überfüllte
Weitere Kostenlose Bücher