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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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sah ich in der Ferne mehrere Einheimische im Gänsemarsch auf mich zukommen«, fuhr Margaret fort. »Ich hatte keine Ahnung, was für Leute es waren und was sie vorhatten, aber in dem Moment waren sie für mich die Rettung. Als sie näher kamen, konnte ich erkennen, dass es Massai-Frauen waren. Jede trug ein Bündel Holz auf dem Kopf. Mir fiel nicht ein, was Hilfe auf Swahili heißt und schon gar nicht, was es auf Maa heißt, aber die Frauen erkannten gleich mein Dilemma. Sie rannten los und stürzten sich mit wedelnden Armen und lautem Kreischen auf die Paviane. Und wie sie gekreischt haben! Die Paviane hauten natürlich ab, und ich stellte den Kochtopf wieder hin.«
    »Und wie ging es weiter?«
    »Als mein Mann und sein Freund zurückkamen, hockte ich auf einem Zipfel eines Leintuchs, auf dem ich alles ausgebreitet hatte, was noch in der Kühlbox gewesen war. An den anderen Ecken hockten sechs Massai-Frauen. Wir konnten uns zwar nicht miteinander verständigen, aber die Massai-Frauen unterhielten sich bestens, während sie Cornflakes, Bananenchips und La-vache-qui-rit-Frischkäse verspeisten und Milch dazu tranken. Ich hätte gern gewusst, was sie miteinander redeten.«
    »Cornflakes?«
    »Cornflakes, ja. Als die Männer aus dem Auto stiegen, standen die Frauen auf, packten sich ihre Bündel wieder auf die Köpfe und gingen. Im Gänsemarsch, wie sie gekommen waren.«
    »Und«, sagte Rafiq auf die Paviane deutend, »wollen Sie jetzt aussteigen und kreischen?«
    »Warum geben wir nicht einfach Gas und zischen ab?«
    »Aber sie sehen schon ulkig aus, nicht?«
    Sie waren ungefähr fünfundvierzig Minuten gefahren, an Zebras, Nashörnern und Warzenschweinen vorbei, als Margaret leise sagte: »Halten Sie an.«
    Er sah sie an, und sie wies nach vorn. Keine zwanzig Meter vor ihnen lag lang ausgestreckt ein Leopard auf dem Ast einer Akazie. Das Tier hob witternd die Nase und starrte zu ihnen herüber, und Margaret wusste, dass es sie im Wagen entdeckt hatte – wahrscheinlich lange bevor sie den Leoparden bemerkt hatte, der scheinbar faul im Schatten des Laubs lag. Perfekt getarnt. Beinahe.
    »Kurbeln Sie das Fenster hoch«, sagte Rafiq leise.
    Margaret tat es, aber es drängte sie, auszusteigen und ein Bild zu machen. Eine Gelegenheit, einen Leoparden aus solcher Nähe einzufangen, bot sich selten, und sie wollte es versuchen. Das Gefährliche dabei war natürlich, dass jede Bewegung das geschmeidige Tier provozieren konnte, von seinem Ast herabzuspringen und anzugreifen. Es kam darauf an, wie ein Kollege bei der Zeitung ihr erklärt hatte, unbedingt die Autotür offen zu lassen und den Leoparden mit dem unbeschäftigten Auge zu beobachten, während man mit dem anderen hinter dem Fotoapparat versuchte, ihn ins Bild zu bekommen. Eine Aufnahme. Das war alles, worauf man hoffen konnte. Eine Aufnahme mit Zoom und dann so schnell es nur ging zurück ins Auto.
    »Tun Sie’s nicht«, sagte Rafiq.
    Margaret schwieg.
    »Es lohnt sich nicht«, fügte er hinzu.
    Sie hob den Apparat und überlegte, ob sie es durch die Windschutzscheibe versuchen sollte. Aber der Winkel stimmte nicht, und die untergehende Sonne blendete, dabei konnte kein gutes Foto herauskommen. Wenn, dann musste sie aussteigen und sich vielleicht zwei Meter links vom Wagen entfernt postieren.
    Sie drehte sich nach Rafiq um.
    »Nein«, sagte er.
    »Aber so eine Gelegenheit bietet sich bestimmt nie wieder. Es wäre ein einmaliges Foto. Besonders wenn man die Beleuchtung richtig hinkriegt, und ich glaube, das kann ich. Ich muss nur aussteigen und zwei Meter nach links gehen.«
    »Nein«, sagte er. »Überlassen Sie das jemand anderem.«
    Sie biss sich auf die Lippe. »Würden Sie auf mich hören, wenn ich zu Ihnen sagte: ›Nein, schreiben Sie den Artikel nicht. Überlassen Sie das jemand anderem.‹«
    Er antwortete nicht.
    »Rafiq«, sagte sie.
    »Zehn Sekunden maximal. Sie steigen aus, drücken ab, steigen wieder ein.«
    »Danke.«
    »Ich werde nicht rausspringen, um Sie zu retten.«
    »Einverstanden.«
    Margaret wartete lange, ehe sie die Tür öffnete. Sie würde nur Sekunden Zeit haben, um eine Reihe von Handlungen zu vollenden, von denen die Wichtigste war, den Leoparden richtig ins Bild zu bekommen und dann sofort auf den Auslöser zu drücken. Sie übte den Ablauf ein.
    »Ich gehe jetzt«, sagte sie schließlich.
    Sie öffnete die Tür, bewegte sich die etwa zwei Meter, die sie brauchte, zur Seite und hob den Fotoapparat. Der Leopard schien vage in ihre

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