Das erste Mal und immer wieder
mitgekommen, und ich müsste doch furchtbare Langeweile haben so allein. Oft kuschelte er sich nachts an mich und nannte mich »seine allerliebste und hübscheste Mami«, die er »nie mehr verlassen« würde. Ich versprach, ihn Weihnachten zu besuchen und dass ich ihn danach mitnehmen würde. Er war begeistert, und wir machten so viele Punkte auf ein Blatt, wie es noch Tage waren. Damit war er zufrieden, und wieder spiegelte sich grenzenloses Vertrauen in seinen Augen.
Nachdem alle wieder unter Tränen abgereist waren, machte ich mich auf die Suche nach einer Wohnung für mich und meinen Sohn. Mit Hilfe meines Chefs wurde ich fündig. Ein Zimmer richtete ich bunt mit neuem Spielzeug und HSV-Bettwäsche ein. Hier sollte Chrissi wohnen. Das Badezimmer war eine Katastrophe, in der kleinen Dusche blätterte der Lack ab, und die Wasserhähne waren alt und verrostet. Ich nahm mir vor, sobald der Wohnungsmarkt sich entspannt hatte, etwas anderes zu suchen, und gab mich vorerst damit zufrieden.
Der erste Sommer ging zu Ende, und mit ihm verließen die Urlauber die Insel. Es wurde ruhiger, und ich war dankbar dafür. Meine Kraft war aufgebraucht, und mein Körper schrie nach Ruhe und Schlaf. Ich beschloss, mich weiter auf der Insel umzusehen, und fand bald einen Reitstall für Touristen. Dort wurden Pferde vermietet für Stunden oder Tage, mit Lehrer oder ohne. Die Tiere schienen alt, klapprig und viel zu dürr und ausgemergelt für die tägliche Arbeit. Aber der Besitzer erklärte mir, dass hier auch die Tiere für ihren Unterhalt arbeiten müssten und er sie über den Winter wieder aufpäppeln würde. Ich dachte an Heike und ihre blank geputzten Ställe, an die herrlichen Pferde mit ihrem glänzenden, gepflegten Fell. An die dicken, kräftigen Leiber ihrer Tiere und an die lustigen Reitstunden, die ich dort verbracht hatte. Ich dachte an Lady, meine zierliche, stolze Lipizzanerstute. Wie es ihr wohl ergangen war?
Ich mietete mir für zwei Stunden ein Pferd und suchte mir das klapprigste aus. Esmeralda, so hieß die Stute, trottete los. Erst mal zog ich auf der »Außenbahn« ein paar Runden, um dann meiner sicher das Stallgelände zu verlassen. Ich ritt in die Berge. Eigentlich kroch ich mehr, denn außer langsamem, trägem Gehen war nichts herauszuholen aus meinem Reittier. Ständig blieb es stehen, um karges Gras zu rupfen, und ging erst wieder weiter, wenn es alles runtergeschluckt hatte. Mich störte das nicht. Ich saugte mich an dem Geruch des erwärmten Leders unter mir fest, streichelte sein zerrupftes Fell und sang und pfiff alte Pippi-Langstrumpf-Lieder vor mich hin. Weitere Lieder fielen mir ein: »Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand«, oder »Mein Schimmel wartet im Himmel auf mich«. Es waren uralte deutsche Schlager von Gus Backus, und ich fragte mich, woher ich die kannte.
Ob sie noch von meinem Vater waren? Ganz sicher, denn er hörte früher auch immer »Theo, wir fahren nach Lodz«. Ich lachte, als mir das jetzt einfiel. Saß wie eine Königin auf einer völlig verklepperten Mähre und zog meine Runden mit solchen Gedanken im Kopf.
Auf dem Heimweg stellte ich fest, dass ich mich richtig wohl gefühlt hatte in den stillen Bergen und auf dem Rücken des Pferdes. Gleich am nächsten Tag besorgte ich mir Stiefel, Reithosen und mischte eine Tüte altes Brot mit Möhren. Diesmal mietete ich die Stute für vier Stunden an und »schlich« auch ein paar Meter weiter. Ich saß ab und schaute in die Sonne, öffnete meine Bluse und ließ mich bescheinen. Das Pferd mampfte genüsslich die Tüte leer und stand dann ebenfalls mit einem angewinkelten Bein träge da. Ich glaube, es mochte mich; es fuhr ab und an mit seinen Nüstern über mein Haar. Es zupfte dran, aber vielleicht wollte es nur mehr Leckereien. Ich sagte ihm Nachschub zu und trottete zurück. Es war herrlich, friedlich, romantisch und anheimelnd. Mir war klar, dass ich nun sehr oft hier sein würde.
AUSGEBRANNT
Rene war das, was man unter einem rassigen Spanier versteht. Schwarze, dicke Haare, dunkelbraune Augen und rotbraune Haut. Weiße Zähne zeigten sich, wenn er grinste, und das tat er oft. Ständig in alten Gummistiefeln und mit mistbeschmierten Hosen unterwegs, war er fröhlich bei der Arbeit. Dauernd schleppte er alte Eimer hin und her, karrte Strohballen durch die Gegend oder saß auf einem Halm kauend auf der Absperrung zur »Außenbahn« und sah den Touristen beim Reiten zu. Oft gab er Anweisungen, oder er ließ die Pferde im Kreis um
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