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Das erste Mal und immer wieder

Das erste Mal und immer wieder

Titel: Das erste Mal und immer wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moos
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abgefunden, egal wo und wie. Ich war erleichtert, und nach kurzer Anlaufphase betrat ich das erste Mal die verrufene Straße.
    Ich mietete mir eine »Schotte«. So nannte man den Gang vorm Fenster, hinter dem in der Regel das Zimmer lag. Der Tagespreis für das Zimmer betrug 120 DM. Ich schluckte. Das war viel. Bezahlt wurde auch, wenn man krank war. Das Zimmer war karg eingerichtet, nur Bett, Stuhl und Kommode befanden sich darin. Zusätzlich ein Waschbecken. In dem Haus waren drei Fenster nebeneinander, ich würde also Kolleginnen neben mir haben.
    Natürlich gab es ein richtiges Bad mit Toilette und auch eine große Küche im Haus. In der Straße befanden sich an die 40 oder 50 Häuser. Massenhaft Fenster, massenhaft Frauen, die an die Scheiben klopften. Die Straße und ihre Häuschen darin waren alt. Dicke, verschobene, alte Pflastersteine waren vor ewigen Zeiten gelegt worden. Die Häuser waren teilweise abgesackt, stand doch alles auf einem längst vergessenen Moorgebiet, auf dem schon vor 200 Jahren die Gaukler und Spieler campiert hatten.
    Anziehen konnte man sich, wie man wollte, in der Regel höchst wenig, meist nur Unterwäsche und hohe Pumps. Arbeitszeiten gab es nicht, man konnte anfangen und aufhören, wie es beliebte. Auch hier war das ärztliche Attest Vorschrift, und mittlerweile wurde auch der Aidstest verlangt. Unregelmäßig kontrollierte hier jedoch nicht das Gesundheitsamt die Scheine der Mädchen, sondern die »Sitte« ging um. Meist dieselben Polizisten, immer Männer.
    Frauen waren hier überhaupt nicht gern gesehen, verlief sich mal eine oder brachten angetrunkene Gruppen eine mit, wurde sie beschimpft und beworfen, bis sie unter Deckung die Straße verließ. War man neu, gab man auch gleich seine Personalien ab und musste das übliche Gespräch auf dem Revier absolvieren.
    Viele Häuser gehörten »Alt-Luden«, einige waren verpachtet, die meisten jedoch in einer einzigen Hand. In solch einem Haus begann meine »Straßenkarriere«. Auch eine Peepshow gab es in der Straße, ähnlich wie die, wo ich viele Monate gearbeitet hatte. Auch durch diese Peepshow konnte man zur Straße gelangen. Fast alle Frauen hatten »ihren« Hund dabei, und das Erste, was ich mir überlegte, war, meinen großen Rüden ebenfalls herzuholen, damit ich Gesellschaft hatte.
    Nach den ersten Tagen schon zog ich um in ein anderes Haus. Die Zimmermiete war wesentlich günstiger, dafür gab es jedoch keine Heizung. Die Pächterin dort hatte einen völlig verwahrlosten Freund namens Jürgen. Tagsüber hing er am Markt rum und soff sich die Birne zu; abends tauchte er dann auf, schrie alle an und half der sehr alten und kranken Frau, die Miete »einzutreiben«. Diese Frau hatte drei nebeneinander liegende Häuser gepachtet. Besitzer war ein Mann, der im selben Autokonzern wie einst Jürgen in einer Führungsposition saß. Er ließ sich niemals blicken, kassierte die Wochenpacht im Umschlag an einer versteckten Stelle. Die alte Frau musste jede Woche mit einem Umschlag voller Geld ebendiese Stelle aufsuchen und dort den Briefumschlag übergeben. Es wohnten noch vier andere Frauen mit mir in diesen Häusern. Es gab viel mehr Zimmer, aber die waren in einem so schlechten Zustand, dass sie unvermietbar waren. Hinter den Häusern war ein großer Hof, der alle drei Hintereingänge miteinander verband. Eine Küche gab es nicht, und ich war die Einzige, die ganz dort wohnte.
    Im Sommer saß die alte Frau mit ihrem Freund und dessen Saufkumpanen draußen auf dem Hof. Ihr Geschrei und ihre asozialen Streitereien haben so manchen Gast vertrieben. Es war teilweise grauenhaft. Aber ich mochte es, lebte mich ein. Selbst den biestigen Säufer wickelte ich um den Finger, und bald schon hatte er mir nicht nur ein Extrazimmer zum Wohnen hergerichtet, sondern auch mein »Arbeitszimmer« gestrichen und neu möbliert.
    Neben mir im Haus arbeitete Karla und das seit 40 Jahren. Überhaupt waren alle Frauen, die mit mir dort wohnten, an die 45 oder auch älter. Eine war so dick, dass sie auf keinen Stuhl mehr passte. Sie hatte dritte Zähne und schob sie beim Verhandeln mit den Männern am Fenster so in ihren Ausschnitt, dass sie wie eine Anstecknadel aussahen. Daneben dann Lore. Auch völlig desillusioniert, äußerlich einer Hexe ähnelnd, mit ihren wirren, wilden, fast grauen langen Haaren, ihrem verhärmten, abgemagerten Gesicht. Auch ihre Stimme war keifig, und wir hörten sie ständig. Sie hatte zwei kleine Hunde, die sie permanent zur

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