Das erste Schwert
sollte. Und er wurde es müde, solcherart
ausgefragt zu werden. Er wurde es müde, Angst zu haben.
»Warum erzählt Ihr mir zur Abwechslung nicht einmal etwas über Euch?«, sagte er. »Wer seid Ihr und warum wollt Ihr dies alles
über uns wissen?«
Der Mann gluckste. »Nur fair, was du da verlangst!«, sagte er. »Mein Name ist Raishan. Ich wurde angeheuert, um einen Jungen
aus den Waldlanden zu beschützen und ihn auf einer Reise in den Norden, bei einer Mission von großer Wichtigkeit, zu begleiten.
Den Sohn von Kyth, dem Schmied von Eichenhain. Nur dass jener Schmied, wie ich erst später erfuhr, zwei Söhne hat. Beider
Spur habe ich verloren. Vor |471| etwas mehr als einem Mondlauf brachen sie in unbekannter Richtung aus Eichenhain auf. Kann es sein, dass du und dein Bruder
etwas von dieser Angelegenheit wisst?«
Skip starrte den Mann an und brachte keinen Ton heraus.
Angeheuert, uns zu beschützen?
Das war eine ganz und gar unerwartete Wendung. Vorausgesetzt natürlich, er konnte dem Mann glauben.
Konnte
er ihm glauben? Würde ein Majat-Assassine so etwas sagen – nur, um seines Opfers Vertrauen zu gewinnen?
»Wie kommt Euer Dienstherr darauf, dass Kyths Söhne einen Beschützer nötig haben?« fragte er vorsichtig.
Der Mann bedachte ihn mit einem weiteren amüsierten Blick. »Da du keiner dieser Söhne bist, sehe ich keinen Grund, weshalb
dich das interessieren müsste«, sagte er freundlich, aber bestimmt. »Es sei denn, natürlich ... dir fiele eine Möglichkeit ein, wie die beiden zu finden sind.«
»Nein«, wehrte Skip ab, und seine Stimme klang brüchig und unsicher. Er wusste sogleich – es war Raishan nicht entgangen.
Doch schien er’s ihm durchgehen lassen zu wollen.
»Darf ich trotzdem noch euer Ziel erfahren?«, fragte er.
Auf diese Frage war Skip vorbereitet. »Tandar«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Dort finden sich Kaufleute, die wahre Meister
ihres Fachs sind.«
»Und in welchem Handelsberuf gedenkst du dich ausbilden zu lassen?«
Skip hielt inne. Überlegte abermals fiebrig-schnell. Welchen Handel mochte jemand erlernen wollen, der dafür bis nach Tandar
zog?
»Ein Schifffahrtsunternehmen wollen wir gründen, mein Vater, mein Bruder und ich«, verkündete er.
Raishan nickte; sein Blick durchbohrte Skip. »Falls dir doch noch etwas einfällt, lass es mich wissen. Ich bin auch morgen
noch hier. Für heute reicht es. Leg dich schlafen, bevor deine Gefährten deine Abwesenheit bemerken. Insbesondere |472| deine olivianische Freundin dürfte nicht allzu glücklich sein, erführe sie, dass wir miteinander geredet haben. Eine gute
Nachruhe wünsch ich dir, Junge.«
Er erhob sich mit einer seidenglatten, fließenden Bewegung und war bereits zur Treppe hin unterwegs; ein schwebendes Nachtgespenst,
nicht mehr, nicht weniger. Binnen zweier Lidschläge war er schon nicht mehr zu sehen. Skip konnte kaum an sich halten, um
nicht laut aufzuatmen.
Dann bemerkte er die Gänsehaut auf seinen Armen. Nicht eine Treppenstufe hatte unter Raishans Füßen geknarrt.
Ellah platzte ins Zimmer und weckte sie mit der Wucht eines frühmorgendlichen Donnerschlags. »Aufwachen, ihr zwei!«, rief
sie und zog ihnen mit solch entschlossener Zielstrebigkeit die Decke weg, dass selbst der entfernteste Gedanke an ein Weiterschlafen
absurd schien.
Skip saß bereits aufrecht im Bett und rieb sich die Augen. »Wie spät ist es?«, fragte er schläfrig.
»Vergiss es!«, herrschte Ellah ihn an. »Kara ist weg!«
Diese knappe Nachricht genügte, um selbst Erle aus seinem üblichen Morgen-Koma zu reißen. »Wie meinst du das – sie ist weg?«,
vergewisserte er sich und stemmte sich blinzelnd neben Skip hoch.
»Na, dass sie nicht mehr da ist,
so
mein ich das, Schlafmütze!«, fauchte sie außer sich. »Und dass auch alle ihre Sachen verschwunden sind! Ich habe nichts von
ihrem Aufbruch mitbekommen. Ich hab euch gewarnt! Wir hätten ihr nie trauen dürfen, und erst recht nicht hätten wir ihr gestern
die ganze Geschichte erzählen sollen!«
Skip schaute verdutzt; er wusste genau, dass sie gestern ausnahmsweise einmal
nichts
Derartiges geäußert hatte – im Gegenteil,
sie
war es gewesen, die ihn noch darin ermutigt hatte, Kara nun endlich alles zu sagen. Doch dies ausgerechnet |473|
jetzt
zur Sprache zu bringen, schien ihm keine gute Idee zu sein. Überhaupt nicht.
»Steht Shadow noch im Stall?«, fragte er ganz pragmatisch.
Ellah schaute verdutzt – aber nur
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