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Das Erste, was ich sah

Das Erste, was ich sah

Titel: Das Erste, was ich sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Markus Gauß
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Kinder immer ärmlich gekleidet waren, dank seiner Erze und Quarze ein Vermögen besaß, aber eher hätte er seine Frau auch nachts arbeiten und seine Kinder in Lumpen in die Schule gehen lassen, als dass er seine Steine verkauft hätte, getauscht ja, aber nicht verkauft.
    In der Siedlung grüßten sich fast alle Leute, und ich habe wohl von fünfzig, sechzig Erwachsenen den Namen gekannt. Grüßte ich den Herrn Vergeiner, einen Mann mit zwei tief gekerbten Längsfurchen im kantigen Gesicht, mit seinem Namen, hob er auf dem Rad unmerklich den Kopf und knurrte, wenn er vorüberfuhr: »Grüße dich, du tapferer Gebirgsjäger.«

OBWOHL ER BLIND WAR , fuhr er Fahrrad, er saß hinter seiner drahtigen Frau auf dem Tandem und grimassierte dabei freundlich von der Höhe seines Sitzes nach allen Seiten. Herr Kogler, ein Kopfschüssler, der vier Häuser entfernt von dem unseren wohnte, war ein großer, massiger Mann mit farblosen Haaren und einer schwarzen, an der Seite beim Bügel geschlossenen Brille, die er niemals abnahm. Er war nicht der einzige Blinde, den ich kannte, ein zweiter stand bei der Ampel, die im Zentrum der Stadt auf die Staatsbrücke führte. Diesem Blinden aber fehlten, anders als Herrn Kogler aus der Siedlung, zudem beide Beine, sodass er auf seinen Kniestümpfen stand, um die dicke Lederkappen geschlagen waren.
    Herr Kogler arbeitete als Masseur, der Mann an der Brücke als Losverkäufer, alle paar Sekunden rief er mit lauter Stimme, dass er Lottoscheine zu verkaufen habe, von denen er ein Büschel in der einen Hand hochhielt, während die andere auf der schwarzen Tasche lag, die er umgehängt hatte und in der wie bei den Busschaffnern die verschiedenen Münzen in schmalen blechernen Röhren steckten. Als ich ihn das erste Mal rufen hörte, erschrak ich, ich war überzeugt gewesen, dass er, weil er blind war, auch stumm sein müsste, doch seine Stimme war kräftig und klang, wenn sie in die Finsternis hinausrief, zu der die Welt für ihn geworden sein musste, geradezu freundlich. Waren wir auf dem Weg ins Nonstop-Kino, kaufte Vater manchmal einen Schein, den er gleich wegwarf, und sprach ein paar Worte mit ihm, der nicht verbittert darüber wirkte, dass er im Krieg beide Beine und das Augenlicht eingebüßt hatte und jetzt an dieser zugigen Stelle stehen musste, auf den Stümpfen seiner Beine und ohne zu sehen, wer ihm ein paar Lottoscheine abnahm.
    Herr Kogler aber, erzählte mir Meinrad, der es von seiner Mutter wusste, hatte sein Augenlicht gar nicht im Krieg eingebüßt, sondern bereits vorher, als er sich, unglücklich verliebt, zu erschießen versuchte und die Kugel in seinem Schädel stecken blieb. Damals erbarmte sich seiner die Krankenschwester, die ihn pflegte, sie hat ihn geheiratet, als er bereits blind war, sie kannte ihn gar nicht anders, und so fand er doch noch die Liebe seines Lebens und lernte sogar das Glück des Tandemfahrens kennen. Ich wäre gerne einmal auf dem Tandem gesessen und mit Frau Kogler um die Siedlung herumgefahren. Es kam mir trotzdem traurig vor, dass einer sich umbringen wollte und blind wurde, wenn ein paar Jahre später ohnedies so viele starben oder blind wurden, aber die ältere Schwester sagte, blöd ist es sowieso und Krieg oder Liebe: blind ist blind. Dabei lachte sie fast unhörbar auf, und Mutter sagte: Mein Gott, musst du immer so zynisch sein.

DIE BUSSE WAREN MIT BUCHSTABEN gekennzeichnet, und einige hatten zwei lange Stäbe, die vom Dach zu den Oberleitungen führten, die vier, fünf Meter über der Straße durch die halbe Stadt zogen. Der A-Wagen fuhr am Rand unserer Siedlung vorbei, er kam von weit draußen und fuhr nach weit draußen, wenn wir ihn bestiegen, um ins Nonstop-Kino zu fahren, hatten manchmal schon die
Bauern
aus der Vorstadt Liefering alle Plätze belegt, dann mussten wir stehen und fünf Stationen zählen, bis wir im Stadtzentrum angelangt waren. Der E-Wagen, den wir nehmen mussten, wenn wir ins Volksgartenbad wollten, kam aus dem gefährlichen Stadtteil Lehen, war oft schon von den
Arbeitern
in Beschlag genommen und fuhr quer durch die ganze Stadt an deren anderes Ende, nach Parsch und Aigen, wo die reichen
Aufschneider
wohnten, keiner wusste, was die Arbeiter alle bei den Aufschneidern wollten. Der E-Wagen war gelb und hatte eine enorme schwarze Schnauze, in der der Motor untergebracht war; der A-Wagen war auch gelb, hatte ein schwarzes Dach, aber keine Motorschnauze, weil er unter den elektrischen Oberleitungen fuhr, viel leiser als

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