Das Erwachen
Arme. »Und hier gibt es nicht einmal einen großen Hund. Oder eine Alarmanlage.«
»Weil hier nichts passiert«, erwiderte sie. »Komm mit in die Küche. Ich mache uns einen Tee.«
Sie ging zur Küche durch, er folgte ihr. »Setz dich«, sagte sie und zeigte auf die alten amerikanischen Barhocker und die frei stehende Anrichte, stellte den gefüllten Wasserkessel auf den Herd und suchte Teebeutel.
»Ich will Martha nicht aufwecken«, sagte er leise.
»Wir wecken sie schon nicht auf. Ihr Schlafzimmer ist oben, auf der anderen Seite des Hauses.« Sie lachte leise und ziemlich abrupt. »Finn! Sieh dir das an.«
»Was denn?«
Megan zeigte auf zwei große Tassen auf der Anrichte unterhalb des Hängeschranks, in dem sie nach den Teebeuteln gesucht hatte. Davor lag ein Zettel. »Falls Finn dich nach Hause bringt«, las sie ihm vor. »Zwei Tassen ganz besondere heiße Schokolade. Gieß mit kochendem Wasser auf – und ein bisschen Milch, wenn du willst.«
»Was für eine nette alte Dame«, sagte Finn kopfschüttelnd.
Der Kessel begann zu pfeifen, und Megan füllte die Tassen.
An Finn vorbei ging sie auf den Kühlschrank zu. Er ergriff ihren Arm und drehte sie zu sich.
»Und wo ist dein Zimmer?«
»Was?«
»Dein Zimmer. Marthas ist oben und deines … wo?«
»Hier, auf dieser Etage. Gleich hinter der Küche.«
»Weit weg von Marthas, hm?«
Sie nickte ernst.
»Hat es einen offenen Kamin?«
»Ja.«
»Heiße Schokolade vor dem offenen Kamin. Klingt das nicht herrlich …«
Sie wartete darauf, dass er den Satz zu Ende sprach, sicher, dass er im Begriff war, »sexy« oder »sinnlich« oder Ähnliches zu sagen.
»Normal?«, murmelte er stattdessen heiser.
»Normal?«, wiederholte sie. »Ja … ich gieße ein bisschen Milch auf, um sie ein wenig abzukühlen. Ich vermute, früher war das einmal das Zimmer des Hausmädchens oder vielleicht sogar ein Anrichtezimmer. Aber es ist richtig nett.«
»Gut.«
Megan goss Milch in ihre Tassen; Finn nahm sie und bedeutete Megan, die Tür zu öffnen. Das tat sie und schaltete gleichzeitig das Licht an.
Das Zimmer war altmodisch und so bezaubernd wie das ganze Haus. Das Dekor des Himmelbetts war, sehr typisch für das patriotische Neuengland, in Rot, Weiß und Blau gehalten, den Farben der amerikanischen Flagge. Toilettentisch, Standspiegel und Nachtkästchen bestanden wie das Bett aus schwerem Eichenholz.
Sie schaute Finn zu, wie er die Tassen abstellte und dann zum Kamin hinüberging. Daneben waren moderne, im Supermarkt gekaufte Holzscheite gestapelt, und Finn entfachte sofort ein kleines Feuer. Er war noch immer braun gebrannt und seine Bewegungen geschmeidig. Sie merkte, wie ihr der Atem stockte, und musste sich zwingen, daran zu denken, wie er heute Morgen ausgesehen hatte – rote Augen, wilde Miene, seine ganze Kraft in den Händen konzentriert, seine langen Musikerfinger, mit denen er sie rabiat gepackt hatte …
Oder war es ein Traum gewesen?
Jetzt wünschte sie sich, es wäre einer gewesen. Er blickte zu ihr auf, eine schwarze Locke fiel ihm über die grünen Augen, sein braunes Gesicht strahlte einen unglaublichen Charme aus, vor allem, wenn er so wie jetzt lächelte. »Sie kauft gutes Brennholz! Hübsches Zimmer. Warum sind wir nicht von Anfang an hierhergekommen?«
Megan lächelte. »Weil du nicht gezwungen werden wolltest, mit meinen Verwandten unter einem Dach zu wohnen, für den Fall, dass sie so seltsam sein würden, wie du es erwartet hast.«
»Ach ja, stimmt.«
Das Feuer brannte. Er stand auf und holte sich seine heiße Schokolade, reichte Megan die andere Tasse und setzte sich dann an den Fuß des Betts, vor den Kamin. Der Raum war mit dunkelblauem Teppich ausgelegt; nur unmittelbar vor der Feuerstelle war der Boden gefliest. Ein dicker, weißer Plüschvorleger machte das ganze Ambiente noch gemütlicher.
Megan gesellte sich zu ihm. Er lehnte sich an das Bett und legte einen Arm um sie. Sie kuschelte sich an ihn und hatte das Gefühl, geliebt zu werden und bei ihm sicher zu sein, so wie sie es bei ihm von Anfang an schon immer gehabt hatte, dieses Gefühl, das ihr in letzter Zeit so sehr gefehlt hatte.
Er streichelte ihr über die Haare und beobachtete gedankenverloren die Flammen. Sie wollte nicht, dass er ging, und doch …
Sie hatte Angst, an seiner Seite einzuschlafen, und sosehr sie sich auch nach ihm sehnte, ihn begehrte, war da auch etwas in ihr, etwas, das schreckliche Angst davor hatte, dass sie …
»Finn.«
»Hm?«
»Was …
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