Das Erwachen
gewisser Vorwurf.
»Und Sie haben hier viele Verwandte!«, sprudelte es aus Ellie heraus. »Ihre Cousine ist eine Hexe.«
»Sie ist eine Wicca-Anhängerin«, murmelte Megan.
»Hier in der Gegend gibt es viele Wiccas«, fügte Finn hinzu, auch wenn er sich fragte, warum er das Gefühl hatte, Megan verteidigen zu müssen. Er persönlich hielt die ganze Sache für ziemlich lächerlich. Zwar war er selbst kein regelmäßiger Kirchgänger, doch im Grunde teilte er die meisten christlichen Überzeugungen. Dem Großteil der Wiccas ging es seiner Meinung nach vor allem um Spaß und um Geld; schließlich konnte man schlecht von einem Hexenladen leben, wenn man kein Wicca-Anhänger war.
»Es ist einfach eine Glaubensrichtung«, erklärte Megan. »Kinder, ihr wisst doch, dass es Christen, Juden, Moslems, Hindus und noch viele andere gibt, oder? Und mit den Wiccas verhält es sich genauso.«
Ellies Vater schnaubte ein wenig abfällig. »Sind Sie auch eine?«, fragte er Megan.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin Katholikin«, erklärte sie.
Das konnte Megan mit Fug und Recht behaupten. Finn begleitete sie gelegentlich in die Kirche, doch sie ging viel häufiger als er. Er konnte nicht sagen, ob Brad Katholiken lieber waren als Wicca-Anhänger, aber schließlich ergriff Brads Frau das Wort. »Das ist eine der tollen Eigenschaften unseres Landes, mein Sohn: die Menschen haben die Freiheit zu glauben, woran sie wollen. Auch wenn manches davon reichlich abwegig sein mag«, fügte sie hinzu.
»Aber beim Wicca-Glauben geht es nicht um Hexerei«, erklärte Megan. »Ganz ehrlich: Es geht eher darum, dass die Menschen die Erde ehren. Ich weiß nicht sehr viel darüber, aber ein überzeugter Wicca-Anhänger würde nie etwas Böses tun, diesen Leuten geht es ausschließlich darum, Gutes zu bewirken. Sie glauben, dass das Böse auf denjenigen zurückfällt, der es verübt.«
»Ich will mir von einer Hexe die Hand lesen lassen«, erklärte Joshua.
»Auf keinen Fall!«, widersprach seine Mutter streng.
Finn fragte sich, warum sie sich so heftig dagegen aussprach, wenn sie die Sache ohnehin für völlig abwegig hielt.
»Na gut, wir ziehen dann mal los«, meinte John. Er und Sally standen auf. »Heute lassen wir die Hexen links liegen, wir wollen ins Marinemuseum.«
»Und wir wollen heute ins Haus mit den sieben Giebeln«, erklärte Joshua.
Finn zwinkerte. »Und wir besuchen heute die Hexe – Megans Cousine«, fügte er erklärend hinzu. »Aber keine Sorge, dank dir, junger Mann, wissen wir jetzt, dass wir uns keinen Hokuspokus anhören sollen, stimmt’s, Megan?«
Auch Brad und Mary standen auf, und mit ihnen die Kinder. »Na, dann einen schönen Tag«, sagte Mary.
»Danke, den werden wir haben«, erwiderte Megan. »Dasselbe wünsche ich Ihnen.«
»Das Haus mit den sieben Giebeln, in dem der Schriftsteller Nathaniel Hawthorne geboren wurde, besichtigen wir bestimmt auch noch«, erklärte Finn den Kindern. »Salem hat wirklich auch eine beeindruckende literarische Geschichte.«
»Ja, ja. Wahrscheinlich müssen wir doch mal ein Buch in die Hand nehmen«, meinte Joshua wenig begeistert.
»Wer liest, erlebt großartige Abenteuer«, sagte Finn.
»Kann schon sein.«
Mary lächelte ihm zu, dann schloss sie sich ihrem Mann und den Kindern an. John und Sally waren bereits gegangen, Finn und Megan blieben allein zurück. Sie wirkte etwas bedrückt.
Er lächelte ihr innig zu. »Na gut, wir sind ihnen also nicht geheuer. Ich bin ein gewalttätiger Ehemann, und du bist mit einer Hexe verwandt. Hey, das ist doch irgendwie lustig.«
Ihr Unbehagen schien nicht zu weichen. Ihre dunkelblauen Augen waren noch dunkler als sonst, ihr schmales Gesicht in seiner perfekten Schönheit wirkte verspannt. »Finn, es tut mir so leid, dass …«
»Hör auf damit. Ich habe mich gestern Nacht wie ein Idiot benommen, und das werde ich heute wiedergutmachen. Ich werde zu Morwenna und ihrem verschrobenen Alten so liebenswürdig sein, wie ich kann. Ich werde keine Witze über die Wiccas reißen und mich auch sonst nicht über sie lustig machen. Ich werde mir sogar aus der Hand lesen lassen.«
»Finn, du musst doch nicht …«
Er wunderte sich über seine plötzliche Anspannung, die fast schon einer tiefen Verzweiflung glich. »Ich muss gar nichts, aber ich möchte, dass dieser Tag für uns beide ein schöner Tag wird. Und ich möchte deine Familie besser kennenlernen, und ich … und ich liebe dich, Megan. Ich werde es nie mehr zulassen, dass sich etwas
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