Das Erwachen
sie offen.
»Sie müssen es begreifen. Ich muss Sie dazu bringen, es zu begreifen.«
Sie atmete tief durch. »Andy, ich gebe mir ja Mühe, es zu begreifen. Sie glauben, ein Mann versucht, einen Dämon lebendig werden zu lassen. Jemand will einen Dämon, eine verwitterte alte Statue, ins Leben zurückrufen.«
»Er ist schon einmal gekommen«, wisperte Andy.
Der Wind drehte sich. Eine kalte Brise strich über ihr Gesicht, hob ihre Haare an, schien ihren Hals zu streicheln.
»Andy, ich verstehe, dass hier Menschen bestattet wurden, die in ihrem Leben vielleicht etwas Schlimmes getan hatten. Aber wenn es denn je so etwas wie einen Dämon gegeben hat, hätte der sich doch nie inmitten einfacher Menschen begraben lassen.«
»Sie begreifen es immer noch nicht. Er ist schon einmal gekommen.«
»Schon einmal? Wann?« Ihre Angst wuchs und damit auch ihre Ungeduld. Sie glaubte nicht, dass ein Dämon hinter ihr her war, aber sie bekam allmählich Angst vor dem alten Mann, hier mitten in der Wildnis, umgeben von dicken Bäumen, düsteren Krähen und einem kalten Wind als Begleiter.
»Nach den Hexenprozessen, in einer Zeit, über die man aus den alten Geschichtsbüchern nichts erfährt. Die Leute schämten sich. Sie schämten sich zutiefst wegen all der Unschuldigen, die großes Leid erdulden mussten. Nicht nur derjenigen, die gestorben waren. Es gab auch noch andere, solche, die man jahrelang eingekerkert hatte, die im Gefängnis verrotteten, weil sie ihre Schulden nicht begleichen konnten für die kalten Hütten und Ketten, die sie festhielten. Niemand wollte mit solchen Verfolgungen etwas zu tun haben. Die Zeit war also reif, sie war genau richtig für solche, die wahrhaftig böse sind. Keine Wiccas, sondern richtige Satanisten, Teufelsanbeter, Dämonenanbeter. Einer von ihnen war überzeugt, dass er auserwählt sei, einem uralten Dämonen, Bac-Dal, wieder menschliche Gestalt zu verleihen. Bac-Dal tauchte zuerst in Persien auf, viele hundert Jahre vor Christus. Dieser Mann kam hierher, genau zu der Zeit, in der die Menschen all die Toten und die Zerstörung, die sie in ihrer Hysterie verursacht hatten, zutiefst bedauerten. In dieser Zeit hatten die wenigsten ein Auge dafür, was ihre Nachbarn taten. Und sie verschlossen die Ohren, wenn Flüstern über Hexerei laut wurde. Jener Mann hieß Cabal Thorne. Er richtete großes Unheil an unter den Menschen, er führte ein Leben übelster Ausschweifung und beging zahlreiche Morde, um seine Blutgier zu stillen.«
»Andy, wenn an solch einer Geschichte etwas Wahres wäre, würde man doch bestimmt in Geschichtsbüchern oder Legenden einen Hinweis finden.«
»Die alten Puritaner ließen es nicht zu, dass irgendetwas davon in die Öffentlichkeit drang, sobald sie es selbst glaubten. Leute kamen hierher von außerhalb und taten sich mit den gelehrtesten Männern der Gegend zusammen. Cabal Thorne durfte nicht verhaftet werden, es durfte ihm kein Prozess gemacht werden, es durfte keine Aufzeichnungen über ihn geben oder darüber, was aus ihm geworden war. Und tatsächlich weiß niemand, was wirklich aus ihm geworden ist. Eines Nachts versammelten sich seine Gegner, und was sie taten, ist bis heute geheim; niemand weiß, zu welcher Macht sie griffen. Doch Thorne wurde getötet und hier verscharrt.«
»Aber inzwischen hätte ihn doch bestimmt ein Heimatkundler ausgegraben«, wandte sie ein in dem Versuch, gelassen zu klingen.
»Um die vorletzte Jahrhundertwende hat tatsächlich einer versucht, ihn auszugraben, auch wenn kaum jemand etwas davon erfahren hat; ein Mann namens Aleister Crowley. Haben Sie schon einmal von ihm gehört?«
Megan knirschte mit den Zähnen. »Ein berühmter Geisterbeschwörer und Satanist. Er hat sich mit schwarzer Magie beschäftigt und allen möglichen Ausschweifungen hingegeben. Ja, ich habe von ihm gehört.«
»Er versuchte, Thornes sterbliche Überreste auszugraben. Es hieß, dass er nichts gefunden hat.«
»Wahrscheinlich war nichts zu finden. Hören Sie, Crowley war bekanntermaßen einer der größten Wüstlinge und vielleicht auch einer der bösesten Männer der letzten zweihundert Jahre. Wenn er nicht hierblieb ...«
»In den historischen Aufzeichnungen wird nicht einmal erwähnt, dass er hier war.«
»Andy, haben Sie jemals daran gedacht, dass all diese Geschichten womöglich doch erfunden sind?«
Er neigte den Kopf in einem seltsamen Winkel. »Ich bin ein sehr alter Mann und habe viel gesehen. Es stimmt, junge Frau – meistens sind es
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