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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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würde nie mehr so wie früher sein. Das Vorgefallene würde sie über Jahre, vielleicht sogar für immer beschäftigen. Sie würde an Schlafstörungen leiden, nachts aufschrecken, sich im Haus oder im Zimmer verkriechen und Schutz suchen. Sie würde verängstigt sein, bei jedem Klingeln zusammenzucken, sich Fremden gegenüber schüchtern, reserviert verhalten und voller Misstrauen geben. Auch tagsüber würden ihre Gedanken abschweifen, sie wäre unkonzentriert, könnte nicht lange einer Unterhaltung folgen. Und Sarah würde sich vernachlässigen, was die Kleidung und das Schminken betraf. Weil sie sich minderwertig fühlte und es doch überhaupt keinen Sinn mache, sich zu pflegen oder schön zu machen. Ihr größtes Problem würde jedoch, davon war Carmen überzeugt, ihr Verhalten zu Männern sein. Nie mehr könnte sie ihnen unbefangen und ohne Vorurteil und ohne die schreckliche Erinnerung an die Vergangenheit gegenübertreten. Henry hatte sein Geschlecht mit einem Bann belegt, den wohl kein Mann auf dieser Welt jemals würde brechen können.
    Carmen zog einen Stuhl herbei, setzte sich und ergriff Sarahs Hand. Wie zart sie war. Noch zarter und gebrechlicher als vor zwei Monaten.
    »Wie fühlst du dich?«
    Sarah lächelte zaghaft. »Wie man sich eben nach so etwas fühlt.«
    »Willst du darüber reden?«
    »Nur mit dir.«
    »Danke für das Vertrauen. Noch vor wenigen Wochen …«
    Sarah hob eine Hand, und Carmen sprach den Satz nicht zu Ende. Sie streichelte die bleiche Wange.
    »Etwas Make-up würde dir gut tun, Sarah. Soll ich was auflegen?«
    Sarah schüttelte den Kopf. »Heute noch nicht.«
    »Sie meinen, du müsstest noch einige Tage hier bleiben.«
    »Ich weiß. Ist wohl auch besser so. Die Ruhe tut mir gut. Und die Beruhigungstabletten«, fügte sie sarkastisch hinzu. »Meine Nächte sind absolut traumlos. Als hätten sie nicht stattgefunden. Jeden Morgen komme ich als achtundzwanzigjähriges Baby zur Welt.«
    Sarah und Carmen redeten belangloses Zeug, als wollten sie sich davor drücken, mit der schrecklichen Wahrheit konfrontiert zu werden.
    Nach einer viertel Stunde, Carmen spürte, dass Sarah vergebliche Anläufe gemacht hatte, immer wieder stockte und auf ein anderes Thema zu sprechen kam, dann die entscheidende Frage: »Wo ist Henry?«
    »In Merzig. In einer geschlossenen Abteilung. Durch ein von Amts wegen eingeleitetes Eilverfahren. Inzwischen hat das Gericht die Einweisung bestätigt.«
    »Und wie geht es ihm?«
    »Sarah, kümmere dich lieber um dich. Schau, dass du wieder in Ordnung kommst. Vergiss Henry.«
    »Ich kann ihn nicht vergessen.« Aus dieser Feststellung war keine Bitterkeit herauszuhören. Und das wunderte Carmen. Eigentlich müsste Sarah doch in höchster Erregung von Henry sprechen. Und mit Verachtung und mit Vorwürfen gespickt. Ob das an den Medikamenten lag?
    Carmen schaute Sarah lange an und glaubte in dem abgemagerten, sympathischen Gesicht das ganze, ihr widerfahrene Leid herauslesen zu können.
    »Du willst wissen, wie alles begann?«
    Carmen nickte. »Weißt du denn eigentlich, was vorgefallen ist?«
    »Ja. Die Polizei hat mich aufgeklärt.«
    In knappen Worten wiederholte Sarah, was man ihr mitgeteilt hatte. Von ihrem Verschwinden, dem Brief aus Konstanz und dem schrecklichen Unfall in Südfrankreich.
    »Aber ich habe die ganze Zeit das Haus nicht verlassen. Unser Haus«, fügte sie bitter hinzu. »Henry hat mich eingesperrt.«
    »Ludevik sagte, er sei einmal in dem Weinkeller gewesen, hätte aber von dir nichts gesehen.«
    »Henry hat mich öfter umquartiert und in den anderen Keller unter der Garage gebracht. Da roch es so modrig, und diverses Krabbeltier ist rumgelaufen. Es war schlimm.«
    »Warum diese Quälerei? Dieses unmenschliche Verhalten? Was wollte er damit erreichen?«
    »Er hat in Erfahrung gebracht, dass ich mich scheiden lassen wollte und den Notar um eine Kopie des Testamentes meines verstorbenen Vaters gebeten habe. Henry ist durchgedreht. Zuerst hat er mich geschlagen, dann vergewaltigt und dann wieder geschlagen. So ging das die ersten Wochen. Und immer wurde ich in den Weinkeller eingesperrt. Den ganzen Tag, die ganze Nacht. Bevor er sich über mich hermachte, hatte ich mich zu duschen. Und anschließend wurde ich wieder eingesperrt.«
    »Aber wieso war es in deinem Verlies so dreckig? Wenn du doch geduscht hast?«
    Sarah schüttelte den Kopf, als könne sie es noch nicht glauben. »Nach zwei oder drei Wochen hat Henry das Interesse an mir verloren. Er war

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