Das Erwachen
die mehrfach ansetzte, um eine Frage zu stellen und auf ein anderes Thema überzuleiten.
»Du hast viel mitgemacht«, begann sie zögernd. »Hast Schmerzen erlitten, nicht nur körperliche, bist gequält und gedemütigt worden. Man braucht sich ja nur … nur deinen Körper anzuschauen. Die Oberschenkel, deine Brüste …«
Carmen bemerkte, wie sich Sarahs Gesicht veränderte. Ein harter Zug legte sich um den Mund, die Lippen wurden fest aufeinander gepresst, trotzig schob sie das Kinn nach vorn. Im Widerspruch zu diesen Signalen, die Willensstärke und Kraft und Entschlossenheit symbolisieren sollten, knetete sie die Finger, presste die Beine zusammen. Ihre Augen flackerten, huschten ängstlich hin und her auf der Suche nach einer Gefahr. Immer wieder schaute sie aus dem Fenster, als erwartete sie sie von dort.
»Was ist geschehen?«, wollte Carmen wissen.
Sarah antwortete nicht. Sie drehte den Kopf etwas zur Seite.
»Man hat auch einiges an … an Intimspielzeug gefunden.«
Immer noch kam von Sarah keine Reaktion.
Als wäre es ihr peinlich: »Einen Vibrator, weit über der Normgröße.«
Sarah zog die Beine an den Körper und verbarg ihren Kopf zwischen den Armen.
Carmen, die sich unbehaglich fühlte und körperlich zu spüren glaubte, welches Leid Sarah widerfahren war, fragte mit leiser, einfühlender Stimme: »Was hat er dir alles angetan?« Sanft streichelte sie Sarahs Nacken. Sie zuckte zusammen und rückte weiter weg, ließ es dann aber geschehen.
»Willst du nicht darüber sprechen?«
Und als Carmen schon dachte, Sarah würde sich dazu nicht äußern wollen, begann sie mit leiser Stimme zu erzählen.
»Es war die Hölle. Ekelhaft. Und es hat so weh getan. Das mit dem Vibrator. Und den Clipsen an den Brustwarzen, die er unter schwachen Strom setzte. Wie eine Puppe. Ich war gefesselt, wie eine Puppe musste ich alles über mich ergehen lassen. Wann immer er wollte. Und er kam sehr oft. Zum Schluss jede Stunde. Jede Stunde die Quälerei. Die Schmerzen. Die Erniedrigung. Er stank nach Alkohol, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Er lallte, schrie, tobte, trat mich mit Füßen, und immer wieder der Vibrator. Mit Butter hat er ihn eingerieben. Stell dir mal vor, mit Butter. Dabei kann er Butter nicht ausstehen. Er ekelt sich vor Butter.«
Carmen verhielt sich so ruhig, als wolle sie von ihrer Anwesenheit ablenken. Und als Sarah nicht mehr weiter sprach, verkniff sie sich die Fragen. Sie wartete.
»Er war zu betrunken, um selbst über mich herzufallen«, fuhr Sarah nach einer Weile fort. »Er rieb seinen Penis zwischen meinen Pobacken, konnte ihn jedoch nicht zur Erektion bringen. Gleichzeitig schob er mir vorn den Vibrator in die Vagina. Manchmal brannte das wie Feuer. Und er drehte an einem Knopf, die Vibrationen und Kreiselbewegungen wurden stärker und schrecklicher. Er tat mir so weh.«
Sarah schluchzte. »Er tat mir so weh. Nie hätte ich Henry zugetraut, dass er mich so quälen könnte. Und als Krönung legte er mich auf den Boden und fesselte mich wie im Kreuzhang. Mit den Clipsen und dem Vibrator bearbeitete er mich zur gleichen Zeit. Du sollst dich nicht beschweren können, dass ich dir keine Orgasmen verschaffen kann, sagte er immer wieder. Was heißt sagte, Henry konnte nur noch lallen. Einmal ist er über der Prozedur eingeschlafen, fiel mit seinem Körper auf mich und drückte den Vibrator tief in meine Vagina. Mehr als eine Stunde hat es gedauert, bis die Batterie leer war.«
Carmen streichelte Sarahs Haar und legte ihr einen Finger auf den Mund. »Das Thema ist doch wohl endgültig ausgestanden.« Sie schimpfte auf sich selbst, weil sie nicht die richtigen Worte fand. Was um alles hätte sie sagen können, um Sarah zu trösten?
Carmen merkte, dass Sarah die Unterhaltung sehr mitgenommen hatte. Sie verabschiedete sich und versprach, jeden Tag zu kommen, falls es ihr möglich sei.
»Carmen, würdest du mir bitte einen Gefallen tun?«
»Jeden auf der Welt, wenn ich dir damit helfen kann.«
»Vielleicht kannst du bei der Polizei erfahren, was man Henry nun wirklich vorwirft. Ich meine mit Südfrankreich. Und dann müsste zu Hause bei uns auch noch einiges an Post herumliegen. Auch im Geschäft und in Henrys Postfach. Könntest du sie mir bitte beim nächsten Besuch mitbringen?«
Bevor Carmen das Krankenhaus verließ, sprach sie noch mit der Ärztin und wies sie auf Sarahs psychische Verfassung hin. Man möge bitte auf sie achten, besonders in der Nacht. Sie dürfe nicht ohne
Weitere Kostenlose Bücher