Das Erwachen: Dunkle Götter 1
vermutlich nicht genug.« Sie zog ein kleines, schmales Messer aus dem Mieder.
»Habt Ihr das immer dabei?«, fragte Penny schockiert.
»Ein Mädchen muss jederzeit vorbereitet sein, auch wenn ich gerade sagte, dass Euch wohl nichts passieren wird. Aber wenn Ihr eine richtige Waffe tragen wollt«, sie trat an eine Kiste und kramte darin herum, »dann nehmt am besten das hier.« Sie hielt einen zweischneidigen Dolch mit einer sieben Zoll langen Klinge hoch. »Dafür braucht Ihr aber Ärmel, weite Ärmel. Kommt her, ich zeige es Euch.« Sie zog eine seltsame Scheide für den Dolch hervor, an der mehrere Bänder hingen.
»Wird das Ding an das Handgelenk geschnallt?« Penny wusste nicht, was sie von dieser Adligen halten sollte, die sich mit Klingen so gut auszukennen schien.
»Normalerweise schon, aber nicht auf einem Ball. Ihr werdet einen Arm heben und ihn dem Gentleman auf die Schulter legen. Dabei könnte der Ärmel zurückrutschen, und außerdem könnte er die Waffe spüren, wenn er Euer Handgelenk berührt. Deshalb ist der Unterarm heute ausgeschlossen.«
»Oh.«
»Eine Lady hat zwei Möglichkeiten, eine so große Waffe zu tragen. Man kann sie an die Wade schnallen, aber auch innen oder außen an den Oberschenkel. Die Wade ist unpraktisch, wenn Ihr die Waffe rasch ziehen wollt, und wenn man sich für die Außenseite des Oberschenkels entscheidet, zerstört man die Anmut mancher Kleider. Ich ziehe die Innenseite des Oberschenkels vor, aber das ist manchmal unbequem, insbesondere beim Tanz. Außerdem muss das Kleid eigens dafür geschneidert sein, so wie dieses hier …« Sie schob die Hand zwischen die Falten ihres Rocks und zückte einen kleinen Dolch, der jenem, den sie Penny überlassen hatte, sehr ähnlich war. Offenbar gab es im Kleid einen verborgenen Schlitz, durch den sie die Waffe erreichen konnte.
»Guter Gott, Lady Rose, Ihr seid ja eine wandelnde Waffenkammer!«, rief Penny.
»Vergesst das nur nicht!« Rose zwinkerte ihr zu.
»Habt Ihr jemals eine Waffe benötigt? Musstet Ihr schon einmal eine Klinge einsetzen?«, fragte Penny neugierig.
»Noch nicht. Gewöhnlich kann man auch die schlimmsten Strolche entmutigen, ehe es so weit kommt, aber es zahlt sich immer aus, gut vorbereitet zu sein.« Voller Neid hörte Penny zu, wie Rose so keck über dieses Thema sprach.
»Aber wie soll ich nun das Messer tragen, wenn ich tanzen will?«, wollte Penny wissen.
»Hier.« Rose deutete auf die Innenseite ihres Oberarms. »Das ist zwar nicht sehr bequem, aber Euer Partner bemerkt es dort nicht, und wenn der Ärmel zurückrutscht, bleibt es verborgen. Zieht erst das Kleid an, dann zeig ich Euch, wie man damit umgeht.« Penny schlüpfte in das Kleid, was mehrere Minuten in Anspruch nahm. Es passte ihr recht gut. »Und jetzt schnallen wir das Messer mit dem Griff nach unten an die Innenseite Eures Oberarms. Die Scheide ist so konstruiert, dass sie das Messer auch in dieser Position festhält. Zeigt mir, wie Ihr es im Notfall zieht.«
Penny stieß die rechte Hand in den linken Ärmel und packte den Messergriff. »Nein, nein!«, protestierte Rose. »Wenn Ihr so vorgeht, dann ist er längst drei Schritte weit weg und ruft seine Mutter zu Hilfe.«
Penny lachte, als sie es sich bildlich vorstellte. »Kommt es nicht genau darauf an? Ihn öffentlich abzuwehren?«
Rose schüttelte den Kopf. »Nicht öffentlich. Damit verletzt Ihr seinen Stolz und handelt Euch selbst einen schlechten Ruf ein. Wenn Ihr das Messer wirklich braucht, müsst Ihr ihm die Schneide auf die Haut setzen, ehe er es überhaupt bemerkt, damit Ihr ihm in aller Stille verdeutlichen könnt, was Ihr von ihm haltet. Sobald er seine Niederlage eingestanden hat, steckt Ihr das Messer wieder weg – und niemand ist gedemütigt. Jedenfalls nicht öffentlich.«
Die Methode, die Rose ihr beschrieb, sagte Penny sehr zu, auch wenn sie nicht die Absicht hatte, die Klinge zur Selbstverteidigung einzusetzen.
Rose fuhr fort: »Als Frau dürft Ihr nie vergessen, dass Ihr Euren Vorteil größtenteils verspielt, wenn er Eure Absichten erkennt. Er ist größer, stärker und wahrscheinlich auch schneller als Ihr. Legt anmutig die Hände zusammen und schiebt sie zu den Ellenbogen hoch, als müsstet Ihr nachdenken oder als wäre Euch kalt. Von da aus könnt Ihr den Griff leicht erreichen.«
Penny fragte sich, wie sie das während des Tanzes tun konnte, wagte aber nicht zu fragen, weil sie kein Misstrauen wecken wollte. Es gab allerdings auch noch eine andere Frage.
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