Das Erwachen: Dunkle Götter 1
»Lady Rose, tragen etwa alle Edelfrauen Waffen?«
Rose schnaubte. »Nur die klugen.«
»Wer hat Euch all dies beigebracht?«, wollte Penny schließlich wissen.
»Meine Mutter.« Rose bereute ihre Antwort sofort, als sie Pennys Miene bemerkte. Sie hatte bereits von Pennys Verlust gehört. »Penny, das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber wenn Ihr einverstanden seid, ich betrachte Euch schon jetzt als meine Schwester.«
Pennys Augen wurden feucht, und ohne weiter darüber nachzudenken, umarmte sie Rose. »Ich wollte immer eine Schwester haben.« Dabei bekam sie Gewissensbisse, weil der Verrat doch längst geplant war. Sie konnte nur hoffen, Rose möge ihr eines Tages, nachdem sie längst hingerichtet war, verzeihen.
Nur wenig ist über die Zeit vor dem großen Sturz bekannt, als Balinthor fast die Welt zerstörte. Die meisten Historiker stimmen darin überein, dass es damals weitaus mehr Magier gab, die zudem freier leben konnten, denn sie waren nicht an die Anath’Meridum gebunden. Die Götter der Menschen waren noch jung und zu schwach, um die Macht der Magier zu bedrohen. Die Nachtgötter waren zwar mächtig, aber niemand war so dumm, sich mit ihnen auf einen Handel einzulassen. Damals waren fast alle Könige auch selbst Zauberer – ob sie allerdings dumm oder klug waren, ist nicht überliefert. Aus der Dichtung erfahren wir, sie seien klug gewesen, aber die Geschichten sind wie Porträts, die den Abgebildeten im besten Licht darstellen sollen. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren sie so kleinlich, einfältig und hin und wieder sogar so grausam wie die heutigen Herrscher.
Marcus der Ketzer,
Über das Wesen von Glaube und Magie
Als Penny zurückkehrte, saß ich aufrecht im Bett und las. Ich war dankbar für die Ablenkung. So interessant sie auch sein mochte, die Lycianische Sprachlehre war nicht geeignet, einen Menschen lange zu fesseln. Ich hatte das Buch durchgeblättert und mit einigen Wörtern, die ich gefunden hatte, herumexperimentiert, um meine Genesung zu beschleunigen. Eine Erforschung meines Körperinneren hatte ergeben, dass beide Lungenflügel wieder intakt waren, wenngleich sich um sie herum eine Menge Blut gesammelt hatte. Ich hatte eine beträchtliche Zeit damit verbracht, es aufzulösen, damit mein Körper es leichter abbauen konnte.
Dies stellte sich jedoch als schwierig heraus, und ich war keineswegs sicher, ob meine Bemühungen überhaupt Früchte trugen. Daher arbeitete ich zugleich an der Heilung meiner Rippen und der stützenden Muskeln. Ganz sicher war ich nicht, aber ich dachte, ich hätte sie recht gut hinbekommen. Sie saßen wieder ordentlich in einer Reihe, und ich hatte die Bruchstellen gründlich verschmolzen. Nach meinen Experimenten mit einigen Wörtern im Buch waren die Knochen nun vielleicht sogar stärker als gewöhnliche Rippen, doch es gab keine Möglichkeit, diese Theorie zu überprüfen.
Ich widerstand dem Drang, auch an meinem Gehirn zu arbeiten. Dort lauerte der Wahnsinn. Immerhin konnte ich feststellen, dass die Schwellung abgeklungen war, und im Schädelknochen war es möglich, einen kleinen Riss zu verschließen, was keine unvorhergesehenen Probleme nach sich ziehen sollte.
»Du kommst früh nach Hause«, sagte ich wie ein Mann, der seine Gattin begrüßte. Abgesehen von meiner Brillanz war ich manchmal auch ganz witzig. Jedenfalls sagte ich mir dies oft genug, um es selbst zu glauben.
»Hast du inzwischen ein Bad genommen?« Ab und zu konnte Penny richtig engstirnig sein.
»Habe ich schon erwähnt, wie schön du aussiehst?« In der letzten Zeit hatte sich meine Gewandtheit, was höfliches Geplauder anging, beträchtlich verbessert, und ich hoffte, sie damit von ihren Ideen abzubringen. Leider wusste Penny meine Gewitztheit nicht besonders zu schätzen.
Sie beugte sich vor, schnüffelte an mir und rümpfte die Nase. »Du stinkst.« Von da an ging es mit meiner Gesprächsführung bergab, und nicht lange danach ließ sie die Diener eine große kupferne Wanne und Eimer mit heißem Wasser hereinbringen. Da sie alle Angestellten kannte, fiel es ihr sehr leicht, im Handumdrehen genau die Richtigen für jede Aufgabe zu finden. Ihre Tatkraft hätte ich bewundern können, wäre ich ihr nicht selbst zum Opfer gefallen.
Sobald alle wieder gegangen waren – man glaubt gar nicht, wie viele Bedienstete nötig sind, um ein ordentliches Bad zu richten –, sah sie mich scharf an. »Ausziehen!«, verlangte sie. Es gelang ihr, das Wort ohne jede hintergründige Anspielung
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