Das Erwachen

bin ich auch nicht. Ich bin mit anderen Dingen beschäftigt und mache mir Sorgen.«
    »Worüber?«, fragte Barklice, der an Storts bisweilen erstaunliche Gedankensprünge gewöhnt war.
    »Sagen Sie mir, Barklice, wenn Sie raten müssten: Wo würde ich etwas Kostbares verstecken?«
    »In der Bibliothek«, antwortete Barklice ohne Zögern. »Sie meinen den Stein, nehme ich an?«
    »Ja. Ist das so naheliegend?«
    »Als Versteck benutzen wir Orte, die wir kennen. Jeder weiß, dass Sie die Bibliothek besser kennen als jeder andere. Darum würde ich vermuten, dass Sie den Stein dort versteckt haben.«
    »Ich hege die große Befürchtung«, sagte Stort nach kurzem Überlegen, »dass ich eine Dummheit begangen habe. Und dadurch habe ich womöglich das Leben meiner Kollegen und Freunde in Gefahr gebracht. Das könnte auch der Grund gewesen sein, warum ich beim Antritt dieser Reise so ein ungutes Gefühl hatte. Arnold, machen Sie schneller, wenn es geht. Wir müssen nach Hause, obwohl es schon zu spät sein könnte!«
    Marschall Bruntes Entscheidung, mit Generalmajor Feld nach Norden zu reisen, um festzustellen, wie groß die Unterstützung für das aufständische Brum sowohl in quantitativer wie auch qualitativer Hinsicht war, machte sich bezahlt. Er und Feld waren der Meinung, für den Fall eines Angriffs der Fyrd auf Brum die Rückzugslinien der Stadt kennen und sichern zu müssen.
    »Es wäre doch Unsinn, uns heute abschlachten zu lassen, wenn wir uns zurückziehen, morgen wiederkommen und sie bekämpfen können«, hatte er zu Pike gesagt, der während ihrer Abwesenheit für Brums Verteidigung verantwortlich war.
    Sie hatten auch Hauptmann Backhaus mit in den Norden genommen, damit er alles schriftlich festhielt, und sie besuchten alle größeren Hyddensiedlungen nördlich von Brum. Da die Erdbeben diesen Teil Englalonds nicht ernstlich in Mitleidenschaft gezogen hatten, waren Straßen und Eisenbahnlinien noch intakt, und Brunte verstand es ebenso wie Barklice, sie auf Hyddenart zu nutzen.
    Sie gelangten an den Wall, den der Menschenkaiser Hadrian einst errichtet hatte und der sich quer durch Englalond zog. Nur wenige zivilisierte Hydden hatten sich jemals über den Wall hinaus nach Norden gewagt, und wie sie erfuhren, gab es dort zwar Siedlungen, doch das Leben war hart und entbehrungsreich. Beherrscht wurdedas dünn besiedelte Land von den berüchtigten Reivers, die, wie es hieß, auf wilden Hunden ritten.
    Die beiden wichtigsten Hyddensiedlungen an diesem Wall waren Carlisle und Chesters, die ihn mit vereinten Kräften bewachten und gegen gelegentliche Einfälle der Reivers verteidigten.
    »Gewöhnlich sehen wir die Reivers nur in einem harten Winter, wenn sie auf Nahrungssuche sind. Wenn sie können, rauben sie auch die eine oder andere Wyfkin, aber wir kennen ihre Schliche und bekommen sie dieser Tage kaum zu Gesicht. Allerdings hören wir sie zuweilen heulen.«
    »Wie das?«
    »Bei schlechtem Wetter deponieren wir Lebensmittel hinter dem Wall und markieren die Stelle mit Fackeln. Nennen Sie es eine Tributzahlung, wenn Sie wollen. Wir sehen dann, wie sie auf ihren Hunden um die Lebensmittel herumjagen, Speere schleudern, Pfeile abschießen und dergleichen. Möglicherweise, um uns einzuschüchtern oder voreinander mit ihrem Können zu prahlen. Dort werden Sie keine Unterstützung für die Brumer Sache finden, aber was das angeht, werden wir alles tun, was in unserer Macht steht.«
    »Und das Heulen?«
    »Es ist ein wolfsartiges Heulen. Auf diese Weise bringen sie zum Ausdruck, dass sie gut genährt sind, und halten Kontakt zu anderen Reivers in ihrem kargen Land.«
    Brunte und seine Kollegen erfuhren viel, gewannen Freunde und erkundeten, wo die besten Rückzugslinien in Richtung Norden verliefen und wo man sich dem Feind entgegenstellen konnte. Sollten sie sich in diese Richtung zurückziehen müssen, würde es der Fyrd schwerfallen, ihnen auf den Fersen zu bleiben, ohne ihre Versorgungslinien gefährlich zu überdehnen.
    Dort oben, in der sauberen Luft auf den Anhöhen der wilden Pennines, bekam Brunte wieder einen klaren Kopf und konnte freier atmen. Er sprach mit Feld in einer Weise, wie er es noch nie getan hatte.
    Feld wusste, dass Brunte, ein gebürtiger Pole, in der Hyddenstadt Warschau aufgewachsen war und nach der Ermordung seiner Familie durch die Fyrd geschworen hatte, ihren Tod zu rächen, wann immer er konnte. In dieser Absicht war er in die Armee eingetreten, die erhasste, und hatte alles über sie