Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
Vom Netzwerk:
ab und tupfte sich mit einem Geschirrtuch die Augen.
    »Ach, Mister Stort«, seufzte sie laut, »Sie bringen meine Gefühle ganz durcheinander, jawohl!«
    Während sie weiter ihre Tränen trocknete, fiel ihr nicht sogleich auf, wie die Holzkelle in der großen Rührschüssel auf dem Küchentisch zu zittern begann und dann wie von selbst am Rand der Schüssel im Kreis herumwanderte.
    Als sie es Augenblicke später bemerkte, starrte sie die Kelle verwundert an.
    Unterdessen war Stort angesichts der hartnäckigen, aber bewegt vorgebrachten Bitten seiner Freunde immer noch wie gelähmt vor Unschlüssigkeit. Am liebsten hätte er ihnen alles gebeichtet und den Stein gezeigt. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte gerufen: »Meine Freunde, Sie haben ja recht! Ich verheimliche Ihnen tatsächlich etwas! Etwas Wunderbares und zugleich Schreckliches! Ich muss mein Schweigen brechen!«
    Das hätte er wohl auch getan, wäre in diesem Moment nicht ein feines Rinnsal aus grobkörnigem Gipsstaub von der Decke auf den mit Tassen und Untersetzern gedeckten Tisch herabgerieselt. Verdutzt schauten sie nach oben, um die Ursache festzustellen. Im selben Moment begannen die Tassen und Untersetzer zu klappern. Andere Tassen, die an der Anrichte an Haken hingen, schwangen zuerst in die eine, dann in die andere Richtung, zitterten und ruckelten so heftig, dass bei einer der Henkel abbrach, die Tasse auf das Bord darunter krachte und in Scherben ging.
    Dann knallte die Wohnzimmertür, die Cluckett einen Spalt offen gelassen hatte, mit solcher Wucht zu, dass der Riegel schepperte und die Tür wieder aufsprang.
    Pike war der Einzige, der Geistesgegenwart bewies. Er schnellte in die Höhe und rannte um den Tisch, um Brif zu schützen. Was nicht leicht war, denn der Boden wackelte unter seinen Füßen und der Tisch neigte sich mal hierhin, mal dorthin, als wären seine Beine zum Leben erwacht und versuchten nun, in unterschiedliche Richtungen davonzulaufen.
    Barklices Stuhl kippte nach hinten und hätte ihn um ein Haar abgeworfen,wohingegen Brif genötigt war, sich nach vorn zu beugen und am Tisch festzuhalten, damit der seine blieb, wo er war.
    Die Zeit verging langsamer.
    Die Früchte in der Schale auf dem Tisch hüpften eine nach der anderen in die Höhe. Sie verharrten, wie es schien, ohne fremdes Zutun in der Luft und drehten sich langsam im Licht, wobei ihre Farben plötzlich heller leuchteten und jedes Detail deutlich hervortreten ließen. Sie schwebten so einladend zwischen den Männern, dass es ihnen ein Leichtes schien, die eine oder andere mit der Hand aus der Luft zu pflücken.
    Doch keiner tat es, denn auch sie waren, wie alles andere, von einer seltsamen Langsamkeit befallen.
    Die Ärmel von Pikes Jacke, die über der Stuhllehne hing, stiegen in die Höhe, als suchten sie ihn, und eine Tasse rutschte träge von einem Ende des Tischs zum anderen wie auf der Suche nach einem Untersetzer.
    Einen Augenblick lang wurde es ganz still. Da waren nur das Rumpeln unter ihren Füßen und das Klirren von Dachziegeln, die draußen in der Gasse auf dem Kopfsteinpflaster zerschellten. Dann setzte das Zittern und Klappern im Inneren des Hauses wieder ein. Geschirr fiel aus der Anrichte, und als sie hinsahen, halb von ihren Stühlen erhoben, hatte es den Anschein, als wollte die Anrichte selbst nach vorn kippen und auf sie stürzten.
    Gipsbrocken brachen aus der Decke, drehten sich vor ihren Augen langsam in der Luft wie die Früchte, die inzwischen in die Schale zurückgesunken waren und dort im Kreis herumfuhren.
    Doch von allen diesen seltsamen Begebenheiten war am seltsamsten, dass die rissige Teekanne, die Stort als Andenken an seinen Großvater mütterlicherseits behalten hatte, ihren staubigen, dunklen Platz auf dem obersten Bord der Anrichte verließ und nach vorn ruckte.
    Fasziniert sahen sie zu, wie sie bis zum Rand des Bords wackelte, dann wie in Zeitlupe nach vorn kippte, sich ganz langsam in der Luft überschlug und im freien Fall der Tischmitte zustrebte, begleitet vom anschwellenden Rumpeln der Erde weit unten, das immer lauter wurde, je weiter sich die Kanne der Tischplatte näherte.
    Als die Kanne endlich aufschlug und in tausend Stücke zersprang,hatte das Grollen des Erdbebens die gewaltige Lautstärke rasch aufeinanderfolgender Donnerschläge erreicht.
    Mit dem Zerbrechen der Teekanne setzte die normale Zeit wieder ein.
    Die Tülle flog in eine, der Henkel in eine andere Richtung. Die übrigen Scherben verteilten sich

Weitere Kostenlose Bücher