Das Erwachen

konnten.
    Dann kam das eigentliche Wunder.
    Er zog einen Gegenstand aus dem Beutel und legte ihn auf eine Erhebung am Boden der Kammer.
    Nichts hätte die Übriggebliebenen oder sonst jemanden darauf vorbereiten können, was als Nächstes geschah. Herrlich und beschwingt, mächtig und kraftvoll verwandelte sich die musica mit ihrem Lob und Preis der Erde und des Universums in etwas nahezu Unvorstellbares. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Generationen erfuhren die Übriggebliebenen die Schönheit allen Lebens.
    Sie konnten sie nicht sehen, doch eine Art Sonne, die auf mannigfaltigeWeise strahlte, sandte flimmernde Klangstrahlen aus, die sich mit den Tropfen fallenden Wassers vermischten.
    Wärme, Trägheit, eine Verlangsamung der Zeit, die Geräusche irdischen Lebens und himmlischer Freude, dies alles kam zu den Übriggebliebenen.
    Was den Fremden anging, so verharrte er eine Zeitlang aufrecht, ehe er sich vorbeugte und den Gegenstand berührte. Kraft und Licht entströmten ihm und durchfluteten seinen ganzen Körper.
    Dann ermattete er, schrie vor Angst und Schmerz, deckte den Gegenstand zu, kehrte zum Rand der Kammer zurück und schlief.
    Da wagte sich der Tapferste der Tapferen unter den Übriggebliebenen zu ihm und betrachtete ihn durch Berührung und Klang, anstatt nur durch Klang.
    Er war wirklich sehr schön.
    »Er ist der Große, und er hat uns das Licht gebracht.«
    Slaeke Sinistral, der den Stein des Sommers bei sich trug, hatte in ganz Deutschland nach einem solchen Ort wie der Kammer unter Bochum gesucht.
    Bis 1943 hatte er in den Tunneln unter dem dreihundert Kilometer nordöstlich gelegenen Hamburg gelebt. Dann kamen die Bomber und entfachten einen nie da gewesenen Feuersturm, in dem der Konzern, so hieß sein Wirtschaftsimperium, unterging.
    Zusammen mit einigen anderen Überlebenden brach Sinistral zu einer Odyssee durch das vom Krieg verwüstete Land auf. 1945 gelangte er ins Ruhrgebiet, hörte Geschichten über die Übriggebliebenen und machte sich an die Erkundung der Stollen in der Umgebung.
    Nach dem Menschenkrieg fand er Hyddenfrieden.
    Ausgestattet mit dem Ohr eines Musikers und dem Verstand eines Mathematikers erkannte er sofort, dass die sanften Wohlklänge der musica großartiger waren als jede Musik, die er jemals gehört hatte.
    Krank, auf der Suche nach Frieden und Genesung und einem Ort, an dem er es wagen konnte, sich dem Licht des Steins des Sommers auszusetzen, fand er die Kammer.
    Er sah und hörte die Übriggebliebenen nicht, doch er spürte, dass sie um ihn waren und dass er dieses Hyddenvolk nicht zu fürchten brauchte. Ganz im Gegenteil.Später stand er in dem unterirdischen Regen.
    Er ließ ihn auf sein Fleisch fallen.
    Er berührte den Stein, damit dieser seine Wirkung entfalten konnte. Dann hob er dankbar die Arme, denn er spürte die heilsame, verjüngende Kraft.
    Slaeke Sinistral spürte auch das Universum.
    Er hatte sein wahres Zuhause gefunden.
    Später schlief er.
    Als er aufwachte, wusste er, dass sie da gewesen waren.
    Er fand etwas zu essen vor, warme Kleidung, sauberes Wasser und vieles andere mehr.
    Damals begriff er nicht, dass es Opfergaben waren.
    Gleichwohl herrschten Eintracht und Vertrauen zwischen ihnen, und er wusste so gewiss wie sie, dass er wiederkommen und den Stein mitbringen würde, dessen Strahlen, so wie sie ihn heilten, auch die Heilung und Rückkehr ans Licht der Übriggebliebenen herbeiführen würden.
    Bald danach holte Sinistral seine Anhänger nach Bochum und baute dort sein Imperium auf, nur diesmal als Staat und nicht als Wirtschaftsunternehmen.
    Die Übriggebliebenen wurden in Frieden gelassen.
    Die Stollen unter Bochum, durch welche die bösen Hydden des Ruhrgebiets Zerstörung gebracht hatten, wurden abgeriegelt und von den Fyrd bewacht.
    Unter Bochum entstand eine Kaiserstadt.
    Sie war die Wiege des Reiches.
    Und nun war der Kaiser bereit, zurückzukehren und wieder zu herrschen.
    »Blut! Blut?«
    Blut eilte herbei.
    »Was gibt es Neues?«
    Der Kaiser wurde mit jedem Tag unruhiger. Auch zeigte er immer mehr Anzeichen eines endgültigen Zusammenbruchs. Er konnte mittlerweile aufrecht sitzen, aber seine Haut wies wunde, rote Risse auf, die nicht zu behandeln waren. Er konnte sprechen und lachen, bekam aber manchmal Hustenanfälle, die schwer zu stoppen waren.Er konnte klar denken, sogar scharfsinnig sein, doch schweiften seine Gedanken häufig ab und beschäftigten sich mit Grübeleien über das Universum, die keinen Sinn zu ergeben