Das Erwachen
im Boden verankert waren. Noch zwei Schläge, und der restliche Kalk platzte ab.
Das Gehäuse bestand aus geflochtenen und vernieteten Stahlbändern und war sechseckig. Oben liefen die sechs Seitenwände zu einer stumpfen Spitze zusammen. Ein Stahlreif hielt sie zusammen, in den ein mächtiges Vorhängeschloss eingehängt war.
Teile der Kalkkruste hingen noch an diesem sonderbaren Objekt, und ein Übriggebliebener klopfte sie vorsichtig mit dem Hammer ab, bis der Behälter frei auf seinen Beinen stand.
Der Kaiser war jetzt still und rührte sich nicht. Er hatte den Kopf auf die Seite gelegt und lauschte, die Augen blind, das Gesicht voller Angst.
»Nein ... neiiin«, flüsterte er.
Blut vermutete, dass das Schlimmste noch kam.
Die Riesen untersuchten das Vorhängeschloss, betasteten es, schnupperten daran, leckten daran, schüttelten die Köpfe und murrten.
Der Kaiser machte einen Buckel, krümmte die Hände, drehte den Kopf und sah Blut an.
»Nein ...«, röchelte er.
Offenbar wollte er lieber sterben, als die bevorstehenden Schmerzen des Lebens zu ertragen.
Einer der Übriggebliebenen ergriff einen großen Schlüssel, den er an einer Schnur um den Hals trug, und steckte ihn in das Schloss. Doch als er ihn umdrehen wollte, schüttelte er den Kopf.
Das Schloss war eingerostet und ließ sich nicht öffnen.
Sie beratschlagten, und ihre Körper mit den kräftigen Armen und Beinen verschmolzen zu einem. Schließlich wurden sie sich einig.
Wieder traten alle zurück bis auf den mit der Axt.
Ein anderer löste sich aus der Gruppe und ging quer durch die Kammer zu einer großen Triangel aus Metall, die von der Decke hing.
Er blickte zu den anderen zurück und wartete auf eine Aufforderung. Als sie kam, schlug er mit seinem Hammer kräftig gegen die Triangel. Das Geräusch war noch viel lauter als das Klirren der Hämmer auf dem Stein. Blut musste sich die Ohren zuhalten, Leetha auch.
Der Kaiser wand sich und schrie zum Erbarmen.
Blut vermutete, dass dies eine Art Signal war, das den gewöhnlichen Übriggebliebenen, wo immer sie sich aufhielten, verriet, wasnun geschehen würde. Jedenfalls schien der Übergebliebene an der Triangel plötzlich überzeugt, seine Aufgabe erfüllt zu haben, denn er hielt inne, und das Klirren verklang mit einem immer leiser werdenden Pulsieren.
Nie zuvor hatte Blut eine Stille erlebt wie diese. Sie kroch in seine Ohren, direkt in seinen Kopf, bis er glaubte, hunderttausend vergessene Geräusche von früher zu hören: das Rufen seiner Mutter, das Singen seiner Schwester, das Trippeln eines Tieres im Gras, das Krächzen eines Brachvogels, das er nur ein einziges Mal gehört hatte, und das Gluckern einer Regenrinne in Hamburg zu der Zeit, als er dort seinen Kanzleiposten angetreten hatte.
Dann wurden die Geräusche schwächer, und er vermisste sie bereits, noch während sie eine Flut von Erinnerungen an andere Geräusche und die damit verbundenen Erlebnisse in ihm auslösten.
Sie hatten eines gemeinsam: Er hatte sie alle im Sommer gehört. Die letzten waren das Trillern einer Lerche und das leise Rieseln eines Baches, die er, damals noch ein Knabe, am Ende jenes bestimmten Sommers gehört hatte und danach nie wieder.
Alles, was er dann vernahm, sofern es sich dabei überhaupt um ein Geräusch handelte, war das Fallen der Axt, die der Übriggebliebene schwang. Er hieb auf das Vorhängeschloss an dem Gehäuse ein, in dem der Gegenstand wartete, vor dem sich der Kaiser so sehr fürchtete und den er doch unbedingt hatte sehen wollen ...
Mit einem Krachen zersprang das Schloss, und die sechs Seitenwände des Gehäuses klappten auseinander wie die Blütenblätter einer Sommerblume.
Zum Vorschein kam, nach so langer Zeit in zweifacher Dunkelheit, ein kleiner Edelstein. Er war blassgelb, geschliffen, aber scheinbar stumpf, und lag auf einer rostigen Platte.
Der feine Dunst in der Luft umwaberte ihn, kondensierte an seiner Oberfläche. Mit einem Mal schien er in den Stein einzudringen. Dort wirbelte er im Kreis, verwandelte sich in ein inneres Feuer, das loderte und Funken sprühte. Dieses Feuer oder Licht beschien, obwohl noch nicht sehr hell, die Gesichter der Übriggebliebenen, die es anstarrten, als könnten sie es sehen. Ihre blinden Augen nahmen das blasse Gelb an, so wie sie zuvor die Farben von Leethas Bändern angenommen hatten.
Doch gerade als Blut dachte, der Stein sei ein sanftes Ding von zarter Farbe, das seine Wirkung nur langsam entfalte, schoss ein Lichtstrahl daraus
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