Das Erwachen
hervor, wie er noch keinen gesehen hatte. Schnell wie ein Blitz, nicht breiter als ein Hyddenkopf, in den Farben Weiß und Gelb, die in Grün und Blau hinüberspielten.
Der Lichtstrahl war stark und hatte ein Ziel.
Er sauste geradewegs auf das Gesicht des Kaisers zu. Kaum hatte er es erreicht, da schoss ein zweiter aus dem Stein hervor und beschien seine Brust. Dann ein dritter, der, größer als die beiden ersten, wie ein mächtiger Faustschlag seinen gesamten Körper und den Stuhl traf.
Der Stuhl kippte nach hinten, der Kaiser schrie. Einer oder mehrere Strahlen berührten Bluts Gesicht. Sie schleuderten ihn so heftig zur Seite, dass ihm der Stuhl des Kaisers aus den Händen gerissen worden wäre, hätte er ihn nicht mit festem Griff gehalten. Nur mit Leethas Hilfe konnte er sich wieder aufrichten. Unterdessen zuckten Strahl um Strahl aus dem Stein, bis es zu viele waren, um sie zu zählen.
»Jetzt!«, hörte Blut Leetha rufen. »Jetzt müssen Sie kräftig zupacken und den Stuhl in seiner Position halten.«
Dann sagte sie: »Herr, machen Sie sich bereit, den Stein zu empfangen!«
Mit einem Mal wurde klar, wie der Kaiser dies bewerkstelligen sollte, obwohl er an den Stuhl gefesselt war.
Einer der Übriggebliebenen hob die langstielige Zange vom Boden neben dem Gestell auf und hielt sie zusammen mit einem anderen über den Stein. Obwohl sie dick und klobig war, handhabten die Übergebliebenen sie mit Feingefühl und Geschick und packten den Stein mit solcher Leichtigkeit, als pflückten sie eine Beere von einem Strauch.
Dann trugen sie die Zange, die plötzlich schwerer geworden schien, zum Kaiser und boten ihm den Stein dar, dessen pulsierende Strahlen alles mit Myriaden von Lichtern übersäten.
Trotz seiner Blindheit schien der Kaiser ihn zu sehen.
»Neiiiin!«, schrie er wieder und versuchte sich wegzudrehen.
Leetha legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Nehmen Sie ihn, liebster Herr, ergreifen Sie ihn, fassen Sie den Mut zu einem neuen Leben!«
Er gehorchte, und sie half ihm, die andere Hand auf die erste zu legen, damit er den Stein mit beiden halten konnte.
»Jetzt!«, rief sie.
Die Übriggebliebenen wichen zurück, die Zange fiel zu Boden, und der Kaiser wurde zum Zentrum eines Lichtsturms. Zunächst war er kalt, bald jedoch wärmer, dabei änderte er die Farbe und fegte brausend in die höchsten und hintersten Winkel der Schlafkammer.
Dann veränderte sich vor Bluts Augen plötzlich alles.
Was dunkel war, wurde hell.
Was nass war, begann zu dampfen.
Was matt war, glänzte.
Die Kalkablagerungen bröckelten von den Gegenständen ringsum und zerfielen zu Staub. Was darunter zum Vorschein kam, ob aus Metall oder Holz, ob verrostet oder vermodert, war plötzlich wieder wie neu, wie frisch gegossen oder gezimmert.
Und nicht nur die Dinge veränderten sich in rasendem Tempo, auch der Kaiser begann sich zu verändern. Blut konnte kaum glauben, was er sah.
Das Haar des Kaisers, das eben noch schütter und grau an seiner schuppigen Kopfhaut geklebt hatte, wurde vor Bluts Augen voller, kräftiger und blond. Gleichzeitig zerrten seine Arme an den Riemen. Der verkümmerte Körper erstarkte, seine Schreie wurden tiefer, als er seine jugendliche Stimme zurückerlangte, die Züge glatter, die Haut straffer.
Blut hätte diese Verwandlung wohl weiter beobachtet, hätte nicht etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregt und ihn in seinen Bann geschlagen. Er konnte nicht sagen, ob es real war, auf jeden Fall schien es ihm so.
Mit einem Mal schwirrte die Luft von länglichen Gegenständen, die wie Glasscherben oder Spiegel aussahen. Sie flogen mit hoher Geschwindigkeit und in Reihen vor seinen Augen vorüber, wurden langsamer, drehten sich zu Spiralen, entfernten sich, kamen zurück und kreuzten den Weg anderer Scherbenreihen. In einem komplizierten Muster kreisten sie um den Stein, und das Ineinander ihrer Formen und Farben war von so erhabener Schönheit und der Klang, den sie erzeugten, so exquisit, dass Blut der Atem stockte.
Musica universalis, sagte er sich.
Doch er hörte nicht nur Klänge, wie ihm schien, sondern auch die Scherben selbst, wenn sie sich, dünn wie Papier, allein und mit den anderen drehten.
Zu Hunderten, vielleicht Tausenden flogen sie hintereinander her. Die Bilder, die sich in ihnen spiegelten, waren flüchtige Momentaufnahmen aus Bluts früheren Sommern, wie die Erinnerungen zuvor, nur intensiver und realer. Wohin er auch blickte, überall sah er alte Erinnerungen, und gleich was er
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