Das Eulenhaus
gewesen. Wenn die Götter selbst Yggdrasil fällen konnten, was war dann noch sicher! Lieber doch nicht zurück.
»Erinnerst du dich noch an diese Zeichnung, dein eigenes Yggdrasil-Zeichen?«, fragte Edward.
»Der komische Baum, der aussah, wie kein Baum aussieht, den ich immer auf Zettel gekritzelt habe? Das tue ich heute noch, Edward! Auf Schreibunterlagen und Telefonbücher und Bridgeblöckchen. Ich krickele den andauernd. Gib mir einen Stift.«
Edward gab ihr Stift und Notizbuch, und Henrietta zeichnete lachend einen albernen Baum.
»Genau«, sagte er, »das ist Yggdrasil.«
Sie waren jetzt fast oben am Ende des Wegs. Henrietta setzte sich auf einen gefällten Baum. Edward setzte sich neben sie.
Sie sah durch die Bäume den Hügel hinunter. »Das ist wie ein kleines ›Ainswick‹ hier – eine Art Westentaschen-›Ainswick‹. Ich habe schon manchmal überlegt – Edward, glaubst du, Lucy und Henry sind deswegen hierher gezogen?«
»Möglich.«
»Man weiß ja nie, was in Lucys Kopf so vorgeht.« Henrietta schwieg und fragte dann: »Und was hast du aus dir so gemacht, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, Edward?«
»Nichts, Henrietta.«
»Klingt ausgesprochen friedvoll.«
»Ich war ja nie besonders gut im – Machen.«
Sie musterte ihn. Da war so ein Unterton gewesen. Aber er lächelte sie nur schweigend an.
Und wieder spürte sie diese Welle tiefer Zuneigung. »Vielleicht bist du einfach klug.«
»Klug?«
»Nichts zu machen.«
Edward sagte bedächtig: »Aus deinem Mund klingt das sehr merkwürdig, Henrietta. Du bist so erfolgreich.«
»Findest du mich erfolgreich? Das ist ja komisch.«
»Aber das bist du doch, meine Liebe. Du bist Künstlerin. Du musst stolz auf dich sein, du kannst doch gar nicht anders.«
»Ja, ja«, sagte Henrietta, »das erzählen mir viele Leute. Weil sie nichts verstanden haben – sie verstehen das Allergrundsätzlichste nicht. Du auch nicht, Edward. Bildhauerei ist nicht etwas, wozu man sich entschließt, und dann hat man Erfolg damit. Das ist etwas, das einen anspringt, das an einem nagt, einen verfolgt – und irgendwann muss man das bei den Hörnern packen. Nur dann findet man ein bisschen Frieden, ganz kurz nur – bis alles wieder von vorn losgeht.«
»Suchst du denn Frieden, Henrietta?«
»Manchmal denke ich, den suche ich mehr als alles andere auf der Welt, Edward!«
»Du könntest ihn haben in ›Ainswick‹. Ich glaube, du könntest da glücklich sein. Selbst – selbst wenn du mich dabei in Kauf nehmen müsstest. Was hältst du davon, Henrietta? Möchtest du nach ›Ainswick‹ kommen und es zu deinem Zuhause machen? Es hat schon immer auf dich gewartet.«
Henrietta drehte langsam den Kopf und sagte leise: »Wenn ich dich doch bloß nicht so schrecklich gern hätte, Edward. Das macht es so unglaublich viel schwerer, nein zu sagen.«
»Und nein ist die Antwort?«
»Es tut mir leid.«
»Du hast früher auch schon nein gesagt, aber ich dachte, na ja, dass es diesmal vielleicht anders ist. Du warst heute Nachmittag glücklich, Henrietta. Das kannst du nicht abstreiten.«
»Ich war sehr glücklich.«
»Sogar dein Gesicht ist – jünger als heute Morgen.«
»Bestimmt.«
»Wir waren auch glücklich miteinander, als wir über ›Ainswick‹ geredet, an ›Ainswick‹ gedacht haben. Verstehst du denn nicht, was das heißt, Henrietta?«
»Du verstehst es nicht, Edward! Wir haben doch den ganzen Nachmittag lang in der Vergangenheit gelebt.«
»Die Vergangenheit kann ein guter Ort zum Leben sein.«
»Aber man kann nicht dahin zurück. Das ist das Einzige, was man wirklich nicht kann – zurück.«
Edward schwieg ein paar Minuten lang. Dann fragte er leise und sachlich, aber nicht böse: »Eigentlich ist der Grund, dass du mich nicht heiraten willst, John Christow, nicht?«
Henrietta sagte nichts.
»Das ist er doch, nicht?«, fragte Edward weiter. »Wenn es keinen John Christow auf der Welt gäbe, würdest du mich heiraten.«
»Eine Welt, in der es keinen John Christow gibt«, sagte Henrietta barsch, »kann ich mir nicht vorstellen! Das musst du endlich begreifen.«
»Wenn das so ist, wieso lässt der sich nicht scheiden? Dann könntest du ihn heiraten.«
»John möchte sich von seiner Frau nicht scheiden lassen. Und ich wüsste nicht, warum ich ihn heiraten sollte, wenn er es täte. Es ist – es ist alles ganz anders, als du denkst.«
»John Christow«, sagte Edward nachdenklich, beinah abwägend. »Es gibt zu viele John Christows auf der
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