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Das Eulenhaus

Das Eulenhaus

Titel: Das Eulenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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und das, Midge, ist bekanntlich ein schlimmes Verbrechen. Sie hat Todfeinde bei Tisch nebeneinander platziert und Riesentrara über Hautfarben angezettelt! Aber anstatt dass das in einem einzigen großen Tumult endete und sich alle in die Wolle kriegten und sie Schande über das Empire brachte – verdammt noch mal, nein sie kam damit durch! Mit ihrer berühmten Art, die Leute anzustrahlen und dabei zu gucken wie ein Unschuldslamm! Beim Personal genauso – Lucy macht ihnen jede Menge Schwierigkeiten, und sie beten sie an.«
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte Midge nachdenklich. »Dinge, die man niemand anderem durchgehen lassen würde, sind in Ordnung, wenn Lucy sie tut. Wie kommt das eigentlich? Durch Charme? Anziehungskraft?«
    Sir Henry zuckte die Schultern. »Sie war schon als Kind so – ich habe nur manchmal den Eindruck, es wird schlimmer. Ich meine, sie merkt überhaupt nicht, dass es Grenzen gibt. Also, Midge, ich glaube wirklich«, sagte er im Spaß, »Lucy denkt, sie käme sogar mit einem Mord durch!«
     
    Henrietta holte den Delage aus der Garage im Hof, wechselte ein paar technische Worte mit ihrem Freund Albert, der für das Wohlbefinden des Wagens sorgte, und fuhr los.
    »Läuft wie geschmiert, Miss«, verabschiedete sich Albert.
    Henrietta lächelte ihm zu und jagte die Straße hinunter. Sie genoss es wie immer in vollen Zügen, allein mit dem Wagen loszufahren. Sie war am allerliebsten allein beim Fahren. Denn dann konnte sie das intime, persönliche Vergnügen, das Autofahren ihr machte, voll auskosten.
    Sie genoss ihre eigenen Fahrkünste und probierte zu gern neue Abkürzungen aus London hinaus aus. Sie fuhr immer ihre eigenen Strecken und kannte sich in London selbst so gut aus wie jeder Taxifahrer.
    Jetzt testete sie ihre neu entdeckte Route in Richtung Südwesten und fädelte sich geschickt durch das verzwickte Labyrinth der Außenbezirke.
    Gegen halb eins war sie endlich auf dem Kamm von Shovel Down. Den Blick von da oben hatte Henrietta immer gemocht. Auch jetzt hielt sie an, genau an der Stelle, an der die Straße wieder bergab ging. Unter ihr und um sie herum nur Bäume – Bäume, deren Blätter von Goldgelb zu Braun wechselten. Es war eine unglaublich goldene, strahlend schöne Umgebung in dieser kräftigen Herbstsonne.
    Ich liebe den Herbst, dachte sie, er ist doch viel satter als der Frühling.
    Und plötzlich spürte sie einen dieser intensiven Glücksmomente, ein Gefühl dafür, wie schön die Welt war und wie intensiv sie diese Welt genoss.
    So glücklich wie jetzt gerade, dachte sie, werde ich nie wieder sein.
    Eine Minute lang stand sie einfach und ließ ihren Blick über diese goldene Welt schweifen, wo alles irgendwie ineinanderfloss und sich auflöste in Schleier und Tupfer der eigenen Schönheit.
    Dann fuhr sie bergab, durch die Wälder und die lange steile Straße zum »Eulenhaus« hinunter.
     
    Midge saß auf der flachen Terrassenmauer und winkte Henrietta fröhlich zu. Auch Henrietta freute sich, Midge wiederzusehen. Sie mochte sie gern.
    Lady Angkatell kam aus dem Haus. »Da bist du ja, Henrietta. Bring deinen Zossen schön in den Stall und gib ihm seine Kleie, dann ist unser Essen auch so weit.«
    »Lucy hat wieder den Nagel auf den Kopf getroffen«, sagte Henrietta, während sie mit Midge, die auf dem Trittbrett stand, um das Haus herumfuhr. »Ich war ja immer so stolz darauf, der Pferdemarotte meiner irischen Vorfahren entwischt zu sein. Wenn man unter lauter Leuten aufwächst, die nur das eine Gesprächsthema Pferde kennen, kommt man sich sehr überlegen vor, wenn man sich nicht für Pferde interessiert. Und Lucy hat mir gerade klar gemacht, dass ich meinen Wagen offenbar behandele wie ein Pferd. Und das ist leider ziemlich wahr.«
    »Ja, ja«, sagte Midge, »Lucy kann einen fertigmachen. Mir hat sie heute Morgen erklärt, ich soll, solange ich hier bin, ruhig so grob sein, wie ich will.«
    Henrietta überlegte einen Augenblick und nickte dann. »Ja, natürlich – wegen des Ladens!«
    »Ja. Wenn man tagein, tagaus damit beschäftigt ist, in einer engen Kabine gegenüber groben Kundinnen höflich zu bleiben und immer schön ›Madame‹ zu sagen und ihnen irgendwelche Kleider über den Kopf zu ziehen und lächelnd alles zu schlucken, was sie einem an den Kopf werfen – nun ja, dann wünscht man schon mal alle zum Teufel! Ich jedenfalls weiß nicht, Henrietta, wieso die Leute immer denken, ›in Diensten zu stehen‹ sei entwürdigend und in einem Laden zu stehen

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