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Das Eulenhaus

Das Eulenhaus

Titel: Das Eulenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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also ich weiß nicht, wissen Sie. Wenn’s nur der Kopf sein soll. Ich hab so was natürlich noch nie gemacht!«
    Schickliches Zögern, vorsichtige Nachfrage nach der lukrativen Seite.
    »Ich muss selbstverständlich darauf bestehen, dass Sie das angemessene professionelle Honorar dafür annehmen.«
    Und so war es gekommen, dass Nausikaa jetzt auf dem Podest saß, genoss, dass ihre Reize sie offenbar unsterblich machen würden (obwohl ihr die anderen Exemplare von Henriettas Werken, die sie im Atelier sah, nicht eben zusagten), und vor allem genoss, ihre Persönlichkeit einer Zuhörerin nahe bringen zu können, die offenbar die reine Sympathie und Aufmerksamkeit war.
    Ihre Brille lag auf dem Tisch neben ihr… die Brille, die sie aus Gründen der Eitelkeit so selten wie möglich aufsetzte. Manchmal tastete sie sich sogar lieber fast blind durch die Welt, sie war nämlich, wie sie Henrietta gestand, so kurzsichtig, dass sie einen Meter vor sich schon kaum noch etwas sah.
    Henrietta hatte verständnisvoll genickt. Das also war die physische Erklärung für ihren hübschen leeren Blick.
    Die Zeit verstrich. Plötzlich legte Henrietta das Werkzeug aus der Hand und reckte die Arme. »Das wär’s. Ich bin fertig. Hoffentlich sind Sie nicht zu müde?«
    »O nein, vielen Dank, Miss Savernake. Es war sehr interessant, wissen Sie. Und Sie sagen, das ist jetzt wirklich fertig – so schnell?«
    Henrietta lachte. »O nein, der Kopf ist noch nicht fertig. Da werde ich noch ein bisschen dran arbeiten müssen. Aber Sie sind fertig. Ich habe jetzt, was ich wollte – die Struktur ist da.«
    Die junge Frau stieg langsam von ihrem Podest. Sie setzte die Brille auf, und sofort verschwand alle blinde Unschuld, all der zerstreut-zutrauliche Charme aus ihrem Gesicht. Übrig blieb eine unbeschwerte, aber billige Hübschheit.
    Sie stellte sich neben Henrietta und betrachtete das Tonmodell. »Ach«, sagte sie dann skeptisch und mit enttäuschtem Unterton, »das sieht mir aber nicht sehr ähnlich, nicht?«
    Henrietta lächelte. »O nein, das soll ja auch kein Porträt sein.«
    Der Kopf hatte in der Tat fast gar keine Ähnlichkeit. Die Stellung der Augen, der Schwung der Wangenknochen – das waren für Henrietta die wesentlichen Elemente ihrer Vorstellung von Nausikaa gewesen. Das hier war nicht Doris Saunders, es war ein blindes Mädchen, über das man auch Gedichte schreiben könnte. Die Lippen halb geöffnet wie die von Doris, aber es waren nicht wirklich ihre Lippen. Diese Lippen würden eine andere Sprache sprechen und andere Gedanken äußern, nicht die von Doris…
    Die Züge waren noch nicht klar und deutlich. Bis jetzt war es die erinnerte Nausikaa, nicht die gesehene.
    »Na ja«, sagte Miss Saunders skeptisch, »sieht bestimmt besser aus, wenn Sie nochmal drübergegangen sind… Und Sie brauchen mich wirklich nicht mehr?«
    »Nein, vielen Dank«, sagte Henrietta. Und dachte: Gott sei Dank nicht! Laut fuhr sie fort: »Sie waren einfach großartig. Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
    Routiniert schaffte sie sich Doris Saunders vom Hals, um sich dann erst mal Kaffee zu kochen. Sie war müde – sie war schrecklich müde. Aber auch glücklich – glücklich und wieder in Frieden.
    Das tut gut, dachte sie, jetzt kann ich wieder ein Mensch sein.
    Sofort waren ihre Gedanken bei John.
    John, dachte sie. Und Wärme stieg ihr kribbelnd in die Wangen, ihr Herz tat einen Hüpfer und beschwingte ihren Geist.
    Morgen, dachte sie, fahre ich raus ins »Eulenhaus«… sehe ich John…
    Sie saß ganz still und entspannt auf dem Diwan und ließ die heiße schwarze Flüssigkeit in sich hineinlaufen. Sie trank drei Tassen und spürte, wie die Vitalität zurückgeströmt kam.
    Wie gut, wieder ein Mensch sein zu dürfen… nicht das andere Wesen. Wie gut, sich nicht mehr rastlos und elend und getrieben fühlen zu müssen. Wie gut, nicht mehr Straßen entlanghetzen zu müssen, unglücklich, auf der Suche nach etwas, reizbar und ungeduldig, weil man wirklich nicht mal weiß, nach was man eigentlich sucht! Jetzt kam Gott sei Dank nur noch harte Arbeit – und wer hatte etwas gegen harte Arbeit!
    Sie stellte die leere Tasse ab, stand auf und schlenderte zurück zu Nausikaa. Eine Zeit lang musterte sie sie, und eine kleine Falte trat allmählich zwischen ihre Augenbrauen.
    Das war nicht… das war doch nicht ganz…
    Was stimmte da nicht?
    Blinde Augen.
    Blinde Augen, die schöner waren als alle Augen, die sehen konnten… blinde Augen, die einem das Herz

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