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Das Eulenhaus

Das Eulenhaus

Titel: Das Eulenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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zerrissen, eben weil sie blind waren… Hatte sie die getroffen oder nicht?
    Doch, hatte sie – aber sie hatte noch etwas anderes auch getroffen. Etwas, das sie gar nicht gemeint beziehungsweise gemerkt hatte… Die Grundstruktur stimmte – doch, ganz sicher. Aber woher kam der… dieser… leise hinterhältige Ausdruck?
    Der Ausdruck eines gewöhnlichen, gehässigen Gemüts.
    Sie hatte doch gar nicht zugehört, jedenfalls nicht wirklich. Und trotzdem hatte er sich irgendwie durch ihre Ohren und ihre Finger seinen Weg in den Ton gebahnt.
    Sie würde ihn nicht mehr wegkriegen, nie mehr, das wusste sie…
    Henrietta wandte sich abrupt ab. Vielleicht war es Einbildung. Ja, es war bestimmt nur Einbildung. Morgen sah sie das bestimmt ganz anders. Verzagt dachte sie: Wie verwundbar man doch ist…
    Stirnrunzelnd ging sie in eine Ecke ihres Ateliers und blieb vor einer Skulptur stehen, die »Die Anbeterin« hieß.
    Die war tatsächlich gelungen – aus einem wunderbaren Birnbaumstück. Es hatte genau die richtige Maserung – sie hatte es jahrelang aufbewahrt, regelrecht gehortet.
    Jetzt musterte sie die Skulptur kritisch. Doch, sie war gelungen. Ohne jeden Zweifel. Das beste Werk, das sie seit Langem geschaffen hatte – es war für die Ausstellung der International Group bestimmt. Doch, es war einer prestigeträchtigen Schau würdig.
    Alles hatte sie getroffen: die Demut, die Kraft der Halsmuskeln, die heruntergezogenen Schultern, das leicht nach oben gerichtete Gesicht – ein Gesicht ohne eigene Züge, denn Anbetung treibt alle Persönlichkeit aus.
    Ja, Unterwerfung, Anbetung – und diese endgültige Hingabe, die irgendwie jenseitig ist, nicht mehr von dieser Welt…
    Henrietta seufzte. Wenn nur John, dachte sie, nicht so wütend geworden wäre.
    Sie war verdutzt gewesen wegen seiner Wut. Die hatte etwas zu bedeuten, dachte sie, von dem er selbst nichts wusste.
    Er hatte rundweg verfügt: »Die stellst du nicht aus!«
    Und sie hatte ebenso rundweg verfügt: »Doch, tue ich.«
    Langsam ging sie zurück zu Nausikaa. Da war nichts dran, beschloss sie, das sie nicht hinkriegen würde. Sie besprühte den Kopf und wickelte ihn in feuchte Tücher. Er konnte bis Montag oder Dienstag warten. Jetzt war keine Eile mehr. Die Dringlichkeit war weg – die Grundstruktur war ja da. Jetzt brauchte sie einfach Geduld.
    Vor ihr lagen drei glückliche Tage mit Lucy und Henry und Midge – und John!
    Sie gähnte, reckte sich, wie Katzen sich recken – wohlig und ungezwungen und jeden einzelnen Muskel total dehnend. Plötzlich merkte sie wieder, wie müde sie war.
    Sie nahm ein heißes Bad und ging ins Bett. Auf dem Rücken liegend, betrachtete sie durch das Oberlicht ein, zwei Sterne, bevor ihr Blick von da zu dem einzigen Licht wanderte, das immer brannte. Eine gläserne Maske, erleuchtet von einer kleinen Birne, eins ihres frühesten Werke. Ein ziemlich geheimnisloses Stück, fand sie jetzt. Sehr konventionell im Ausdruck.
    Was für ein Glück, das man aus so etwas herauswächst, dachte Henrietta…
    Und jetzt wird geschlafen! Starker schwarzer Kaffee konnte sie, auch wenn sie ihn gerade getrunken hatte, nicht wach halten, wenn sie das nicht wollte. Sie hatte sich schon vor langer Zeit einen Rhythmus antrainiert, mit dem man auf Kommando alles vergessen konnte.
    Man nahm ein paar Gedanken aus seinem Speicher und ließ sie, ohne auf ihnen zu verweilen, durch seine Bewusstseinsfinger gleiten – nur nach keinem greifen, nur bei keinem verweilen, auf keinen konzentrieren… sondern sie einfach sachte vorbeischweifen lassen.
    Draußen auf der Straße heulte ein Motor auf, irgendwo wurde heiser gelacht und gerufen. Henrietta nahm alle Geräusche nur halb bewusst wahr.
    Der Wagen, beschloss sie, war ein röhrender Tiger… gelb und schwarz… gestreift wie manche Blätter – Blätter und Schatten – ein heißer Dschungel… dann einen Fluss hinab, einen breiten Tropenfluss… bis ans Meer, wo der Ozeanriese ablegte… heisere Abschiedsrufe… und John neben ihr an Deck… sie und John bei der Abfahrt… das blaue Meer, dann unten der Speisesaal… ein Lächeln für ihn über den Tisch, wie beim Dinner in der »Maison Dorée«… der arme John, so wütend!… Hinaus in die Abendluft – und der Wagen, wie sich das anfühlt, wenn man die Gänge wechselt… mühelos, sanft, rasch hinaus aus London… über den Shovel Down… vorbei an den Bäumen, den anbetungswürdigen… das »Eulenhaus«… Lucy… John… John… der Morbus Ridgeway…

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