Das Eulenhaus
lieber John…
Und jetzt hinüber und hinein in die Bewusstlosigkeit, die sorglose Glückseligkeit.
Doch da, plötzlich, irgendein beißendes Unwohlsein, ein quälendes Schuldgefühl, das sie zurückriss. Irgendetwas, das sie hätte tun müssen. Irgendwas, vor dem sie sich gedrückt hatte.
Nausikaa?
Langsam und widerwillig stand Henrietta auf, schaltete das Licht an, ging hinüber zur Arbeitsplatte und wickelte die feuchten Tücher auf.
Sie atmete tief durch.
Es war nicht Nausikaa – es war Doris Saunders!
Henrietta durchzuckte ein stechender Schmerz. Sie beschwor sich selbst: »Doch, das kriege ich hin – ich kriege das wieder hin…«
»Unfug«, entgegnete sie sich gleich danach, »du weißt genau, was du zu tun hast.«
Und zwar jetzt – denn morgen hätte sie nicht mehr den Mut dazu. Es war ja, wie wenn man sein eigen Fleisch und Blut vernichtet. Es tat weh – o ja, es tat weh.
Bestimmt, überlegte sie, fühlen sich Katzen so, wenn eins aus ihrem Wurf nicht in Ordnung ist und sie es töten.
Sie holte kurz und heftig Luft, dann packte sie den Kopf, drehte ihn aus der Halterung, schleppte den großen schweren Klumpen zur Wanne mit dem Lehm und warf ihn hinein.
Eine Weile stand sie da, schwer atmend, betrachtete ihre lehmverschmierten Hände und spürte dem Schmerz nach, der sie körperlich und geistig zerriss. Ganz langsam wischte sie sich den Lehm von den Händen.
Dann ging sie mit einem seltsam leeren und doch friedvollen Gefühl wieder ins Bett.
Nausikaa, dachte sie traurig, kam nie mehr wieder. Sie war geboren und besudelt worden, und jetzt war sie tot.
Komisch, dachte Henrietta, wie manchmal etwas in einen einsickert, ohne dass man es merkt.
Sie hatte doch gar nicht zugehört – jedenfalls nicht wirklich – und trotzdem war etwas von Doris’ billigem, gehässigen kleinen Geist ihr in die Finger gesickert und hatte ihr unbewusst die Hand geführt.
Jetzt war das Ding, das Nausikaa – nein, Doris – gewesen war, nur noch ein Klumpen Lehm – einfach ein Rohstoff, aus dem bald etwas anderes gestaltet werden würde.
Schon halb im Traum überlegte Henrietta: Ist das vielleicht die Bedeutung von Tod? Ist das, was wir Persönlichkeit nennen, nur die Gestaltung – die Prägung durch jemandes Denken? Und wessen Denken? Gottes?
War das nicht das Peer-Gynt-Motiv? Zurück in die Schöpfkelle des Knopfgießers, wo er noch er selbst gewesen war?
War das auch Johns Lebensgefühl? Er war so müde gewesen neulich Abend – so entmutigt. Morbus Ridgeway… In keinem von all den Büchern stand, wer Ridgeway war! Zu dumm, dachte Henrietta, sie würde es so gern wissen… Morbus Ridgeway.
3
J ohn Christow saß mit der vorletzten Patientin für diesen Freitagvormittag in seinem Sprechzimmer. Er beobachtete sie mit einem mitfühlenden, ermutigenden Blick, während sie ihm Einzelheiten beschrieb und erklärte. Hin und wieder nickte er verständnisvoll, stellte Fragen, gab Anweisungen. Die Patientin war bald durchglüht von so viel Wärme. Dr. Christow war einfach wunderbar! So Anteil nehmend – so wahrhaft besorgt. Man fühlte sich schon kräftiger, wenn man nur mit ihm redete.
John Christow zog ein Blatt Papier zu sich und fing an zu schreiben. Der verordnete er am besten ein Laxativ, dachte er. Diese neue amerikanische Marke, hübsch in Cellophan verpackte Pillen von einem ungewöhnlichen Lachsrosa. Und schön teuer und umständlich in der Beschaffung – das hatte noch lange nicht jeder Apotheker da. Wahrscheinlich musste sie extra in die kleine Apotheke in der Wardour Street dafür. Und das war bestens – damit war sie vermutlich ein, zwei Monate vollauf bedient, und er musste sich erst danach etwas Neues einfallen lassen. Mehr konnte er nicht für sie tun. Ihre Konstitution war nicht die beste, aber das ließ sich nun mal nicht ändern! Da war nichts, woran er sich hätte festbeißen können. Ganz im Gegensatz zur alten Mutter Crabtree…
Langweilig, der Vormittag. Lukrativ ja – aber sonst auch nichts. Gott, war er müde! Er hatte all die kränkelnden Frauen und ihre Zipperlein so satt. Lindern, dämpfen – das war alles, was er zu tun hatte. Manchmal fragte er sich, ob sich das alles lohnte. Aber dann fiel ihm immer das St.-Christopher-Krankenhaus ein, vor allem die Margaret-Russell-Station mit der langen Bettreihe und in einem davon Mrs Crabtree, die ihn aus ihrem zahnlosen Mund angrinste.
Mit ihr verstand er sich gut! Sie war eine Kämpfernatur, ganz anders als die träge schlaffe Kuh
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