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Das Eulenhaus

Das Eulenhaus

Titel: Das Eulenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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machte eine Pause, um tief durchzuatmen. »Ich musste richtig roh werden. Und dann sind wir im Zorn auseinandergegangen… Und jetzt – ist er tot.«
    Er sah zu, wie sich ihre Hände ineinander schlangen, und bemerkte die verkrampften Finger und die heraustretenden Knöchel. Ihre Hände waren riesig und irgendwie unbarmherzig. Ihre heftigen Gefühle übertrugen sich auf ihn. Das war nicht Sorge, auch nicht Trauer – nein, das war Zorn. Der Zorn eines Egoisten, dachte er, der seinen Willen nicht kriegt.
    »Nun, Monsieur Poirot?« Sie hatte ihre Stimme wieder unter Kontrolle und klang geschmeidig. »Was mache ich denn nun? Die Geschichte erzählen oder für mich behalten? So ist das alles passiert – aber es ist wohl nicht leicht zu glauben.«
    Poirot sah sie lange eingehend an und überlegte. Dass Veronica Cray die Wahrheit sagte, glaubte er zwar nicht, aber etwas an ihrer Geschichte hatte einen deutlich aufrichtigen Unterton. Ja, das war alles passiert, dachte er, aber es war nicht so passiert.
    Und plötzlich wusste er es. Die Geschichte war wahr, aber genau umgekehrt. In Wirklichkeit war sie diejenige, die John Christow nicht vergessen konnte. Sie hatte ihren Willen nicht gekriegt, sondern Zurückweisung. Und sie hatte sich jetzt, weil sie den rasenden Zorn einer Tigerin, der man entreißt, was sie für ihre rechtmäßige Beute hält, nicht einfach schweigend aushielt, eine Version der wahren Geschichte ausgedacht, die ihrem verletzten Stolz gut tat und den schmerzhaften Hunger nach einem Mann ein bisschen stillte, der sich aus der Reichweite ihrer gierig klammernden Hände begeben hatte. Dass sie, Veronica Cray, etwas nicht bekam, das sie wollte – ein Unding! Also hatte sie einfach alles umgedreht.
    Poirot holte tief Luft, bevor er ihr antwortete. »Wenn das alles irgendwelche Konsequenzen für John Christows Tod hätte, dann müssten Sie es erzählen, wenn nicht – und ich wüsste nicht, warum es welche haben sollte –, dann denke ich, sind Sie sehr wohl berechtigt, es für sich zu behalten.«
    Er war gespannt, ob sie jetzt enttäuscht war. Er hatte so eine Idee, dass sie in ihrer gegenwärtigen Verfassung die Geschichte womöglich am liebsten in der Zeitung gedruckt sähe. Sie war zu ihm gekommen – warum eigentlich? Um ihre Geschichte auszuprobieren? Seine Reaktion zu testen? Oder um ihn zu veranlassen – sie weiterzuerzählen?
    Falls seine milde Antwort sie enttäuscht haben sollte, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie stand auf und reichte ihm wieder eine ihrer langen, manikürten Hände. »Vielen Dank, Monsieur Poirot. Was Sie gesagt haben, klingt ja so ausgesprochen vernünftig. Ich bin froh, dass ich hergekommen bin. Ich – ich hatte das Gefühl, jemand sollte die Geschichte wissen.«
    »Ich werde Ihr Vertrauen achten, Madame.«
    Nachdem sie weg war, öffnete er kurz die Fenster. Parfümduft machte ihm zu schaffen. Und Veronicas Duft war ihm unangenehm. Er roch teuer, aber aufdringlich und überwältigend wie sie selbst.
    Als er die Gardine wieder zuzog, überlegte er, ob Veronica Cray John Christow getötet hatte.
    Dass sie es gewollt hätte, glaubte er sofort. Es hätte ihr sogar Spaß gemacht abzudrücken – sie hätte es genossen, ihn taumeln und fallen zu sehen.
    Aber hinter ihrem rachlustigen Zorn lag eine kalte Schläue, eine Fähigkeit, Chancen zu taxieren, eine kühl kalkulierende Intelligenz. So heftig Veronica Crays Wunsch, John Christow zu töten, auch sein mochte – dass sie es riskiert hätte, bezweifelte er.

23
     
    D ie Voruntersuchung war schnell zu Ende. Sie war eine rein formale Angelegenheit, aber man war – trotz der vorherigen Ankündigung – doch allgemein frustriert über den Mangel an dramatischen Höhepunkten.
    Eine zweiwöchige Vertagung auf Wunsch der Polizei.
    Gerda war mit Mrs Patterson zusammen in einem gemieteten Daimler aus London angereist. Sie trug ein schwarzes Kleid und einen unvorteilhaften Hut und wirkte nervös und verstört.
    Sie wollte gerade wieder in den Daimler steigen, als Lady Angkatell auf sie zukam.
    »Wie geht es Ihnen, Gerda, meine Liebe? Hoffentlich können Sie ein wenig Schlaf finden. Ich finde, das lief ja besser, als wir hoffen durften, nicht? Wie schade, dass wir Sie nicht im ›Eulenhaus‹ beherbergen dürfen, aber ich verstehe natürlich, dass das doch sehr schmerzlich für Sie wäre.«
    Mrs Patterson warf ihrer Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu, weil sie sie nicht korrekt bekannt gemacht hatte, und verkündete mit ihrer

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