Das Eulenhaus
hellen Stimme: »Die Idee kam von Miss Collins – also, hin- und gleich wieder zurückfahren. Ist natürlich teuer, aber wir fanden, das ist es wert.«
»Oh, Sie haben ja so Recht.«
Mrs Patterson senkte die Stimme. »Ich nehme Gerda und die Kinder gleich mit nach Bexhill. Sie braucht jetzt Ruhe und Erholung. Diese Reporter! Sie machen sich ja keine Vorstellung! Die schwirren dauernd ums Haus in der Harley Street.«
Ein junger Mann schoss ein Foto, und sofort schob Elsie Patterson ihre Schwester in den Wagen, und weg waren sie.
Die anderen hatten nur einen kurzen Blick in Gerdas Gesicht unter dem Rand des unvorteilhaften Huts erhascht. Der Ausdruck war leer und verloren gewesen – einen Moment lang hatte Gerda ausgesehen wie ein dümmliches Kind.
»Armes Ding«, murmelte Midge Hardcastle fast unhörbar.
»Was finden die eigentlich alle an diesem Christow?«, fragte Edward gereizt. »Die jammervolle Frau sieht ja aus, als hätte es ihr komplett das Herz gebrochen.«
»Sie ging völlig in ihm auf«, sagte Midge.
»Aber warum bloß? Der Bursche war doch ziemlich selbstsüchtig. Nette Gesellschaft, gut, aber – « Er hielt inne. Dann fragte er: »Wie fandest du ihn eigentlich, Midge?«
»Ich?« Midge überlegte. Schließlich sagte sie etwas, worüber sie selbst überrascht war: »Ich glaube, ich hatte Achtung vor ihm.«
»Achtung? Wofür denn?«
»Na ja, er verstand etwas von seiner Arbeit.«
»Du meinst ihn als Arzt?«
»Ja.«
Für mehr blieb keine Zeit.
Henrietta sollte Midge in ihrem Wagen mit zurück nach London nehmen. Edward wollte zum Mittagessen im »Eulenhaus« bleiben und nachmittags zusammen mit David im Zug zurückfahren.
»Du musst mal zum Mittagessen nach ›Ainswick‹ rauskommen«, sagte er unverbindlich zu Midge.
Midge fand auch, das wäre sehr schön, aber sie bekomme leider nur eine Stunde Mittagspause.
Edward schenkte ihr sein charmantes Lächeln. »Ach, das ist doch eine besondere Gelegenheit. Das verstehen die bestimmt.« Damit wandte er sich Henrietta zu. »Ich rufe dich an, Henrietta.«
»Ja, tu das, Edward. Kann aber sein, dass ich viel unterwegs bin.«
»Unterwegs?«
Sie grinste ihn mit leisem Spott an. »Meinen Kummer ertränken. Du glaubst doch nicht, dass ich zuhause hocke und Trübsal blase, oder?«
»Ich verstehe dich gar nicht mehr, heutzutage, Henrietta«, sagte er bedächtig. »Du bist so anders.«
Ihre Gesichtszüge wurden weicher. »Der liebe Edward«, sagte sie unverhofft und drückte ihm kurz den Arm.
Dann drehte sie sich zu Lucy Angkatell. »Ich darf doch wieder herkommen, wenn ich möchte, nicht, Lucy?«
»Aber natürlich, Schatz«, antwortete Lady Angkatell. »Und in vierzehn Tagen ist ja sowieso der nächste Termin beim Untersuchungsrichter.«
Henrietta ging zum Marktplatz, wo sie den Wagen geparkt hatte. Midges und ihr Gepäck war bereits eingeladen.
Dann stiegen beide ein und fuhren los.
Der Wagen schnurrte den Hügel hinauf bis zu der Straße, die über den Kamm führte. Unter ihnen zitterten leise braune und goldene Blätter im kühlen Hauch eines grauen Herbsttages.
Plötzlich sagte Midge: »Bin ich froh, wieder wegzukommen – von Lucy auch, übrigens. Sie ist ja irgendwie ein Schatz, aber manchmal macht sie mich rasend.«
Henrietta hatte die Augen auf den kleinen Innenrückspiegel fixiert und antwortete leicht abwesend: »Lucy muss allem einen Tick Koloraturarie verpassen – sogar einem Mord.«
»Du, ich habe mir noch nie Gedanken über Mord gemacht.«
»Warum auch? Über so etwas macht man sich normalerweise keine Gedanken. Mord ist ein Wort mit vier Buchstaben in Kreuzworträtseln oder ein bisschen hübsche Unterhaltung zwischen zwei Buchdeckeln. Aber wirklicher Mord – «, sie hielt inne.
»– ist eben wirklich«, ergänzte Midge. »Und das bringt einen aus dem Konzept.«
»Dich muss das doch nicht aus dem Konzept bringen«, entgegnete Henrietta, »du bist aus dem Schneider. Vielleicht sogar als Einzige von uns allen.«
»Wir sind wohl jetzt alle aus dem Schneider«, sagte Midge. »Wir sind davongekommen.«
»Wirklich?«, murmelte Henrietta. Sie sah wieder in den Rückspiegel. Plötzlich trat sie voll auf das Gaspedal. Der Wagen zog sofort an. Sie sah auf den Tachometer. Über siebzig schon. Und gerade stand die Nadel bei achtzig Stundenkilometern.
Midge sah Henrietta von der Seite an. Rücksichtslose Raserei sah Henrietta eigentlich nicht ähnlich. Sie fuhr gern schnell, aber die kurvige Straße ließ so viel Geschwindigkeit
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