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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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wie zähflüssiger Schlamm durch das Stundenglas. Die einzige Bewegung, die mir blieb, war, aufzustehen und um die beiden Fässer zu gehen, die Gjertsen mit einem Ansaugrohr verbunden hatte. Immer wieder fragte ich mich, ob ich es jemals schaffen würde, heil aus diesem Schacht zu kommen. Falls Hansen auch noch an Bord kam, erhöhte sich das Frachtgewicht um neunzig Kilo. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich Luftblasen in der beinahe leeren Wasserflasche bildeten. Sie entstanden auf dem Boden, stiegen auf und zerplatzten. Hier fing es also an. In dieser Tiefe ging etwas vor, das sich nicht erklären ließ. Die Zone. Innerhalb der letzten Minuten hatte ich mir ständig ausgemalt, wie es wohl sein mußte, in diesem Schacht zu sterben – nicht bloß zu erfrieren oder zu verdursten, sondern qualvoll an Krämpfen, Schwindelanfällen oder Muskelzuckungen zu Grunde zu gehen … oder einfach wahnsinnig zu werden und in die Tiefe zu springen. Wie zur Beruhigung umfaßte ich den Revolvergriff, um mich zu vergewissern, daß die Waffe noch da war.
    Als die gelbe Marke für das Ende des neunundsechzigsten Kilometers an mir vorbeiglitt, begann der Abstieg in die Von-Hansen-Zone, wie die Erdfahrer den gefürchteten Abschnitt nannten. Noch ein oder höchstens anderthalb Kilometer Gleise standen mir in der Felswand zur Verfügung, danach ging es ungebremst hinunter, zum Ende des Schachts. Ich nahm die Petroleumlampe vom Haken, drehte das Licht heller und leuchtete damit über den Rand der Plattform. Ich erkannte die Gleise bloß auf einer Länge von zwei, drei Metern, bevor sie in der Dunkelheit verschwanden, doch das sollte als Reaktionszeit genügen, um die Gondel rechtzeitig anzuhalten. Während ich angespannt nach unten starrte, lag meine Hand auf dem Schalter, mit dem ich die Umdrehung der Zahnräder stoppen konnte. Bald mußte ich auf Hansens Gondel stoßen, die sich wie ein helles Quadrat aus der Finsternis schälen würde, doch nichts dergleichen passierte. Plötzlich stoppte die Gondel ruckartig. Der Schwung riß mich nach vorne. Ich taumelte über den Rand, bekam aber im letzten Moment das Gestänge des Motors zu fassen. Mit einem Bein hing ich über dem Abgrund, als der Dieselmotor durch mein Gewicht vom Boden hochkippte. Schließlich fing ich mich und taumelte auf die Plattform zurück. Die Maschine plumpste mit einem Schwung zu Boden.
    Mein Herz raste. Dieser verfluchte Schacht! Die Zahnräder versuchten sich zu drehen, schnappten aber immer wieder in die ursprüngliche Position zurück. An einer Ecke knirschten sie extrem. Sofort kippte ich den Schalter in den Leerlauf, worauf die Geräusche verstummten. Ohne lange zu überlegen, startete ich den Generator. Das Knattern hallte unheimlich an den Wänden wider. Binnen Sekunden wurde der Schacht von einer Dieselwolke erfüllt, die aber sogleich vom Luftzug nach unten gesogen wurde. Ich kippte den Schalter in die andere Richtung, um die Gondel hinaufzubewegen. Dabei knirschten die Zahnräder schlimmer als zuvor. Die Gondel ruckte einmal heftig, ohne sich weiter von der Stelle zu rühren. Schleunigst stoppte ich den Motor. Die Gondel hatte sich verzogen und stand nun schief. An einer Ecke hatten sich die Zahnräder verklemmt, ohne in die nächste Kerbe zu greifen. Panik breitete sich in meiner Brust aus. Als ich die Plattform überquerte, knirschte der Holzboden unter der Belastung. Vorsichtig legte ich mich auf den Bauch, rutschte zum Rand und leuchtete mit der Lampe den Winkel unter dem Boden aus, wo sich die Zahnräder in den Kerben des Schienenstrangs verkeilt hatten. Es sah aus, als habe jemand die Einkerbungen für das Zahnrad mit einem Hammer platt gemacht. Hansen! Der verfluchte Walfänger hatte ganze Arbeit geleistet, für den Fall, daß ihm doch jemand folgen würde. Zudem hatte sich das Zahnrad in dem verzogenen Metall so verkeilt, daß es sich auch nicht mehr nach oben bewegen ließ. Ich saß fest! Es gab keine Ersatzgondel mehr, und meine Wasservorräte lösten sich Minute für Minute weiter in Nichts auf, ohne daß ich davon trank. Ebenso schnell dehydrierte ich. Eine neue Panikattacke überkam mich.
    Ich mußte diesen Schienenstrang bloß reparieren, sagte ich mir, um mich selbst zu beruhigen – bloß reparieren! Nichts leichter als das! Um Gewicht zu sparen, hatte ich aber auf jegliches Werkzeug verzichtet. Nicht einmal ein Hammer, eine Brechstange oder eine simple Feile lagen hier herum. Ich hätte laut schreien und mit den Fäusten gegen die Bretter

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