Das Exil Der Königin: Roman
wir Zeit, reinzugehen und uns in Ruhe vorzubereiten. Du stehst Wache, während ich rübergehe. Wenn ich nicht zurückkomme, kommst du nach.«
Zögernd willigte Dancer ein.
Han schob die Befürchtung beiseite, dass er vielleicht gar nicht in der Lage sein würde, nach Aediion zurückzukehren. Oder dass Crow nicht da sein würde, wenn er es doch tat.
Die Bayar-Bibliothek war ein prächtiges Steingebäude am Flussufer, das mit Mystwerk House durch steinerne, gewölbte Galerien verbunden war. Die Bibliothek war genauso, wie Han jene Familie kannte, die sie errichtet hatte – bewusst furchteinflößend.
Mit ihren kunstvoll geschnitzten Treppengeländern, den breiten Fenstersimsen aus Granit und den riesigen Kaminen, die bis spät in die Nacht brannten, glich sie einem Palast des Lernens. Es gab fünf große Stockwerke: drei für die Studenten des ersten, zweiten und dritten Jahres, sowie zwei weitere mit Lese- und Sitzungsräumen, die den Mastern und Dekanen zur Verfügung standen. Noch weiter oben befanden sich das Magazin sowie die Türme, deren Ebenen man nur über ausziehbare Treppen erreichen konnte und die den geweihten Gelehrten vorbehalten waren.
Han duckte sich befangen unter der Tür mit dem Emblem des Jagenden Falkens hindurch, als könnte er spüren, wie sich die ausgestreckten Krallen tief in seinen Nacken gruben und der rasiermesserscharfe Schnabel in sein Fleisch hackte.
Im Leseraum für die Einjährigen konnten die Neulinge Texte über Magie studieren, die so selten waren, dass selbst die wohlhabenden Erben der Magierhäuser sie sich privat nicht leisten konnten. Als Han eintrat, sah er, dass Micah Bayar, Wil Mathis und die Mander-Brüder sich bereits das bevorzugte Revier beim Feuer gesichert hatten; ihre Bücher und Papiere waren auf einem großen runden Tisch ausgebreitet.
Ein Versierter saß bei der Tür; er hatte die Aufgabe, Fragen zu beantworten, Bibliothekspässe auszugeben und dafür zu sorgen, dass jene, die die Leseräume benutzten, andere nicht von der Arbeit abhielten.
Micah beugte sich konzentriert über seine Bücher. Er blätterte langsam die Seiten um und schrieb gelegentlich etwas in ein elegantes, ledergebundenes Notizbuch.
Miphis Mander starrte ins Leere und kaute auf seiner Feder herum. Als er Han sah, sackte ihm die Kinnlade herunter, und die Feder fiel zu Boden. Sein Mund öffnete und schloss sich wie bei einem gestrandeten Fisch.
Genau in diesem Moment kam Fiona aus dem Nebenraum; in der einen Hand hatte sie ein großes, schweres Buch, während sie den Finger der anderen auf eine bestimmte Stelle darin gelegt hatte. Die gelangweilte Miene, mit der sie hereingekommen war, verwandelte sich in Verblüffung, als sie Hans zerschlagenes Gesicht und die Armschlinge sah. Sie warf Micah einen Blick zu, sah dann wieder Han an und runzelte verwirrt die Stirn.
Sie hat nichts damit zu tun, begriff Han. Ich dachte, sie würden alles miteinander teilen, aber von diesem Plan hat sie nichts gewusst. Ich frage mich nur, warum.
Miphis stieß Micah mit dem Ellenbogen an. Micah hob den Kopf und wirkte verärgert; er stand kurz davor, seinen Vetter anzupflaumen. Doch dann sah er Han – und die Überraschung in seinem Gesicht, war fast – fast – die Entwürdigung und die Verletzungen des gestrigen Tages wert. Allerdings wischte Micah seine Überraschung schnell beiseite.
Ihre Blicke begegneten sich und ließen einander nicht mehr los. »Beim Blute und den Gebeinen, Alister, was ist denn mit dir passiert?«, fragte Micah und berührte mit dem Zeigefinger seinen eigenen Wangenknochen. »Schon wieder in einen Kampf geraten?«
Miphis kicherte, während sein Blick von Han zu Micah wanderte.
»Bin die Treppe runtergefallen«, antwortete Han. »Hätte mir tatsächlich fast den Hals gebrochen.«
»Vielleicht solltest du nächstes Mal besser aufpassen, wo du hintrittst«, riet ihm Micah und reckte sich träge.
Fionas Verwirrung verwandelte sich in Wut. Sie winkelte den Arm an und schleuderte dann das Buch in Richtung ihres Bruders. Es gelang ihm gerade noch, rechtzeitig den Kopf einzuziehen. Das Buch zischte an ihm vorbei und klatschte mit beachtlicher Wucht gegen die Wand.
Der Versierte sah auf, beschloss dann aber, sich nicht einzumischen, als er sah, um wen es sich handelte. Wil Mathis stand auf, holte das Buch und gab es Fiona zurück. Sie setzte sich neben Wil und öffnete es wieder, während sich rote Flecken auf ihren blassen Wangen bildeten.
Fiona hatte einen verdammt
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