Das Exil Der Königin: Roman
Kadett Hallie Talbot über ihr aufragte und ihr einen Becher heißen Tee reichte.
»Nenn mich Morley«, sagte Raisa automatisch und nahm den Tee an. Sie nippte daran. Eigentlich sollte sie nicht zulassen, dass Hallie sie bediente, aber im Augenblick befand sie sich am Rande ihrer Kräfte und konnte einfach nicht Nein sagen.
Rebecca Morley war ihr Deckname, der ihr Schutz vor denjenigen bieten sollte, die die Erbprinzessin der Fells mit Sicherheit verfolgten. Die anderen Grauwölfe hielten sie für die Tochter eines niederen Adligen und glaubten, dass ihre Eltern jemanden bestochen hatten, um ihr den Weg zur militärischen Akademie von Odenford zu bahnen. Niemand außer ihrem Freund Amon Byrne wusste, wer sie wirklich war.
Schon bald hatte Raisa Hallie darum gebeten, ihr die Haare zu schneiden, um ihr Aussehen zu verändern. Der Kadett war ihrer Bitte auch gleich nachgekommen – mit dem Gürtelmesser. Hallies Fähigkeiten als Friseurin waren allerdings zweifelhaft, und das Resultat bestand in einer fransigen, gezackten Kappe, die auf der einen Seite bis zum Ohrläppchen reichte und auf der anderen bis zum Kinn.
Auf ihre Haare war Raisa immer stolz gewesen – sie waren lang und dick und reichten in einer wogenden Masse fast bis zur Taille. In körperlicher Hinsicht war es das Beste, was sie zu bieten hatte. Sie schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, während sie sich daran erinnerte, wie Magret ihre Haare mit einer Bürste aus Eberborsten gekämmt hatte …
»Es wäre wärmer und trockener in Eu… in deinem Zelt, Morley«, sagte Hallie und unterbrach damit erneut ihren Gedankenstrom. »Du wirst dir hier noch den Tod holen.«
Raisa schluckte eine scharfe Bemerkung hinunter. Sie hatte das Gefühl, als würden sie hier im Lager ständig aufeinander losgehen. Alles war irgendwie schwierig – ob es darum ging, ein Feuer in Gang zu setzen oder den Abort zu benutzen. Die Langeweile und der ständige enge Kontakt machten sie alle kratzbürstig.
Nun, zumindest machten sie Raisa kratzbürstig. Die anderen schienen lockerer damit umzugehen.
»Wenn ich diese vier Zeltwände noch lange anstarre, werde ich verrückt«, grummelte sie.
Zuerst hatte sie sich ein Zelt mit Amon, Mick Bricker und Talia Abbott geteilt. Bei einem Tripel, das aus drei mal drei Personen bestand, war es üblich, dass drei in einem Zelt schliefen, aber Raisa war ja noch dazugekommen und stellte somit die vierte Person dar. Es war eng, aber gemütlich gewesen.
Doch dann war sie mitten in der Nacht aufgewacht und hatte festgestellt, dass sie an Amons Brust geschmiegt dalag, den einen Arm über seine Brust geschlungen und die Nase in seinem Wollhemd vergraben. Hunderte von Malen hatten sie als Kinder so geschlafen.
Aber diesmal war es anders. Voller Wucht war sich Raisa schlagartig seines vertrauten Geruchs bewusst gewesen, seines pochenden Herzens unter ihrem Arm, seines erstarrten Körpers. Amon lag auf dem Rücken und war so reglos wie ein Stein, als wäre sie eine Viper, die bei der geringsten Bewegung von ihm zuschnappen würde. Mit weit aufgerissenen Augen und geballten Fäusten drückte er sich gegen die Zeltwand. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, und er atmete kurz und oberflächlich, als würde ihm etwas wehtun.
Als er sah, dass sie wach war, befreite er sich von ihr und stapfte aus dem Zelt.
Danach hatte er Mick gegen Hallie ausgetauscht und war selbst ebenfalls in eines der anderen Zelte gegangen, womit die drei weiblichen Wachen unter sich blieben.
Dabei war sie nicht einmal absichtlich auf ihn gerollt. Und sie hatte ihn auch nicht angegriffen .
Aber er verhielt sich sowieso widersprüchlich. Die Hälfte der Zeit bestand er darauf, dass sie sich wie ein Soldat verhielt, und in der anderen Hälfte dachte er sich besondere Regeln aus, die nur für sie galten. Sie ging nie auf Patrouille, und sie stand auch nie allein Wache. Den anderen gegenüber begründete er es damit, dass sie einfach mehr Erfahrung hätten. Er hatte sich zu einem ziemlichen Tyrannen entwickelt.
In jeglicher Hinsicht. So gab es genug zu essen, aber das Zeug war eklig – harte Kekse und getrocknetes Fleisch, dessen Herkunft nicht zu erkennen war, Käse, der in der Feuchtigkeit zu schimmeln begann. Die Nüsse und getrockneten Früchte wurden zwar nicht schlecht, aber mehr als eine bestimmte Menge brachte Raisa davon auch nicht hinunter. Aber wenn sie ihre Portion beim Mittagessen nicht aufaß, drängte Amon sie so lange, bis sie es
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