Das Exil Der Königin: Roman
vermuten, dass Dancer sich darüber im Klaren war, dass Han sich nicht als Gastgeber hervortun würde.
»In der Vorratskammer sind noch ein paar Brötchen und etwas Käse, die ich aus dem Speisesaal mitgenommen habe. Falls du hungrig von der Reise bist«, sagte Dancer. Er deutete auf ein paar Stühle beim Kamin. »Komm, setzen wir uns ans Feuer.«
Bird machte keine Anstalten, sich dorthin zu bewegen, sondern verlagerte lediglich das Gewicht von einem Bein aufs andere. »Ich muss mit Hunts Alone allein sprechen.«
Han war sich nicht sicher, ob er Lust hatte, unter vier Augen mit Bird zu reden. »Dancer kann alles hören, was du zu sagen hast«, entgegnete er. »Es macht mir nichts aus.« Er wusste, dass er bockig klang, aber er fühlte sich verletzt und wollte sie seinerseits verletzen.
Bird sah von Han zu Dancer. »Nein«, bestimmte sie. »Nein, das kann er nicht.«
»He, komm schon«, sagte Han. »Du bist gerade erst angekommen, und Dancer freut sich, dich wiederzusehen.« Er betonte dabei das Wort Dancer .
»Ist schon in Ordnung«, lenkte Dancer ein. »Ich werde mich später noch mit Bird unterhalten. Ich wollte sowieso noch ein kompliziertes Stück fertigstellen. Ich mache mich an die Arbeit.«
Dancer sprang die Stufen hoch und achtete nicht auf Hans bohrenden Blick.
»Also«, sagte Han, als Dancer gegangen war. »Wir sind allein.« Er hatte keine Ahnung, was er glauben oder was er sich erhoffen sollte.
Bird legte die Arme vor der Brust übereinander und berührte jeweils die Ellenbogen mit den Händen – eine vertraute Geste. »Ich habe nicht vor zu schreien. Kommst du runter, oder soll ich zu dir hochkommen?«
Han kam sich jetzt etwas dumm vor. Er ging die Stufen hinunter und trat zum Herd, wo der Kessel bereits dampfte. Mithilfe eines Tuchs hob er den Kessel an und schüttete Wasser über die Teeblätter.
»Setz dich«, sagte er und winkte in Richtung eines Stuhls, der beim Feuer stand. Jetzt endlich setzte sie sich, und er nahm ebenfalls Platz. Er legte die Hände auf die Stuhllehnen.
Han spürte den Verlust ihrer Freundschaft wie ein riesiges schmerzhaftes Loch in seiner Mitte. Er und Dancer und Bird waren seit seiner Kindheit jeden Sommer unzertrennlich gewesen. Im vergangenen Sommer hatte sich seine Beziehung zu Bird zu mehr entwickelt. Erinnerungen wirbelten an die Oberfläche, trotz seiner Bemühung, sie zu unterdrücken – langsame Küsse und die Wärme des Sommers auf ihrer Haut, ihre träge Stimme, als sie am Flussufer gelegen hatten. Er hatte gedacht, er hätte seine Zukunft in ihren Augen gesehen.
Jetzt gab es Geheimnisse zwischen ihnen, Misstrauen und Verrat, und all das erschuf eine Kluft, die so breit war, dass er bezweifelte, sie jemals überbrücken zu können. Sie war eine Demonai-Kriegerin, eine von denen, die sich dem tausend Jahre alten Kampf gegen Magier verschworen hatten. Sie hatte sich entschieden, diesem Ruf zu folgen, trotz der Tatsache, dass Han ein Magier war. Das war ihre Wahl gewesen.
»Dann bist du jetzt eine vollwertige Demonai-Kriegerin?«, fragte er und fingerte an dem abgenutzten Damaststoff der Armlehnen herum.
Sie nickte. »Seit November.« Die Stille zwischen ihnen dehnte sich aus, bis sie sagte: »Du siehst gut aus. Bist du größer geworden?«
Er zuckte mit den Schultern. »Schon möglich.« Früher einmal hatten sie ständig ihre Größe miteinander verglichen. »Ich habe das Gefühl, dass es gut zu dir passt, eine Kriegerin zu sein.«
»Oh, das tut es«, sagte Bird, und ihre Augen begannen vor Begeisterung zu leuchten. »Ich dachte, ich wüsste alles übers Spurenlesen und wie man mit leichtem Gepäck durchs Land reist, aber ich habe inzwischen noch so viel mehr über Waffenkunde und Kampfstrategien gelernt. Nightwalker ist ein wunderbarer Lehrer, so geduldig und …« Ihre Stimme versiegte, als sie ihren Blick auf Hans Gesicht heftete.
Was immer es in diesem Moment ausdrückte, er versuchte, es in einen Ausdruck höflichen Interesses zu verwandeln, um seine Gedanken zu verbergen. Sie nennen ihn Nightwalker, weil er sich immer dann, wenn er mal wieder im Lager ist, bei sämtlichen Freundinnen blicken lässt.
Bird wechselte das Thema. »Also. Wie ist es dir ergangen? Du hast jetzt Unterricht in Fluch… in Magie, ja?«
Han nickte. »Das Semester ist fast vorbei. Das heißt, ein Jahr weniger, von dreien oder vieren.«
»Hast du sehr viel gelernt, oder handelte es sich hauptsächlich um … vorbereitenden Stoff?«, fragte Bird. Da war etwas in
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