Das Exil Der Königin: Roman
Kampf weglaufen, und du kannst dich in einer fairen Auseinandersetzung fast gegen jeden behaupten. Aber wie könntest du davon ausgehen, dass du gegen deine Mutter und den Hohemagier zusammen ankommen kannst?«
»Aber meine Mutter ist die Königin«, sagte Raisa. »Wie kann ich von anderen erwarten, dass sie vor ihr niederknien, wenn ich selbst mich gegen meine Lehnsherrin auflehne? Wie können meine Leute mir vertrauen, wenn ich weglaufe?«
Amon sah auf ihre verschränkten Hände. Ausnahmsweise zog er seine Hand nicht weg. »Es geht darum, eine Schlacht auszuwählen, die man gewinnen kann, und den Zeitpunkt und den Ort selbst zu bestimmen. Lass dir diese Entscheidung nicht vom Feind abnehmen.«
»Ist es das, was sie dir in Wien House beibringen?«
»Das ist das, was mein Dad sagt. Die Bayars hätten es nicht riskiert, diese Hochzeit durchzusetzen und den Zorn der Clans auf sich zu ziehen, wenn sie sich des Ausgangs nicht sicher gewesen wären.«
Raisa seufzte. Hier draußen in der einsamen Dunkelheit dieses besonderen Herbstes erschien ihr das, was an ihrem Namenstag auf Fellsmarch Castle passiert war, wie ein übertriebenes Melodrama, in dem die Hauptrolle von jemand anderem gespielt worden war.
»Sie könnten sich irren. Die Bayars, meine ich.«
»Ja, das könnten sie«, sagte Amon. Seine Stimme klang neutral. Was nichts anderes hieß, als dass er es bezweifelte.
»Sie wehrt sich ja auch manchmal gegen Lord Bayar«, beharrte Raisa, die sich irgendwie verpflichtet fühlte, ihre Mutter zu verteidigen. »Vielleicht ist es mehr eine Frage des Einflusses als der Kontrolle.«
»Vielleicht. Trotzdem wärst du jetzt mit Micah Bayar verheiratet, wenn du geblieben wärst.«
Micah. Raisa sah zu den Sternen hoch, musterte sie und versuchte, die Erinnerung an Micahs Gesicht zu vertreiben, oder an seine Küsse, von denen sie verschlungen worden war wie Papier von Feuer.
»Sprechen wir darüber, wie es sein wird, wenn wir nach Odenford kommen«, sagte sie in dem Bestreben, das Thema zu wechseln.
»Ich nehme nicht an, dass du noch einmal darüber nachgedacht hast, vielleicht doch zur Tempelschule zu gehen?« Amon klang dabei wenig hoffnungsvoll.
Raisa seufzte. »Abgesehen von meiner Zeit im Demonai-Camp habe ich Kunst, Musik und Sprachen mein Leben lang studiert. Ich muss noch etwas anderes lernen.«
Sie sah zu seinem Gesicht hoch und suchte sein Verständnis. »Es ist riskant, nach Odenford zu gehen, aber auch eine Chance. Keine der Grauwolf-Königinnen ist bisher dorthin gegangen, oder jedenfalls nicht in letzter Zeit. Ich werde Dinge lernen, die meine Mutter mir nicht beibringen kann. Das Königinnentum steht unter Druck, und uns läuft die Zeit davon.« Raisa begriff plötzlich, dass sie Amons Hand richtig fest gepackt hatte, und lockerte ihren harten Griff etwas.
Amon sah sie von der Seite an. »Wegen der Sache mit den Bayars?«
Raisa schüttelte den Kopf. »Es geht nicht nur um sie. Ich habe das Gefühl, als würde der Sand unter meinen Füßen weggeschwemmt werden.« Sie lachte bitter. »Ich klinge wie meine Mutter, die melancholische Königin. Aber im Unterschied zu ihr bin ich nicht bereit, die Oberherrschaft gegen bloßen Schutz einzutauschen.« Sie machte eine Pause. »Das Problem mit Prophezeiungen ist, dass man nie sicher sein kann, ob es sich um eine wahre Vision handelt … Wie auch immer, Lord Bayar hat jedenfalls in einer Sache recht – wir werden mit einem Angriff aus dem Süden rechnen müssen, sobald die Montaignes aufhören, sich gegenseitig zu bekämpfen. Ich werde nie ein Soldat sein, aber ich muss mehr über Diplomatie wissen, über Politik und militärische Strategien. Ich muss meine Feinde besser kennenlernen.«
»Also willst du nach Wien House gehen.«
Sie nickte.
Der Mond befreite sich von einem Schleier aus Wolken, und Licht strömte in die Ruine.
»Micah und Fiona Bayar werden als Einjährige in Mystwerk House sein«, sagte Amon und wölbte eine Braue. »Die Manders auch.«
Sie seufzte. »Vermutlich werde ich ihnen früher oder später begegnen.«
»Vielleicht erst später, wenn du Glück hast.« Er rieb sich die Nase. »Wien House hat den Vorteil, dass es sich auf der anderen Flussseite befindet, nicht auf der gleichen wie Mystwerk. Krieger, Ingenieure und Buchhalter – was man in Odenford als praktische Künste bezeichnet – werden auf der einen Seite des Flusses unterrichtet. Auf der anderen werden Magier, Heiler und die Tempelkünstler ausgebildet. Es besteht keine
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