Das Exil Der Königin: Roman
mit Master Askell gesprochen.«
Der Angestellte nickte. »Willkommen zurück, Befehlshaber. Master Askell zufolge werdet Ihr in Grindell House untergebracht werden. Ihr alle.« Der Angestellte beugte sich vor und flüsterte Amon etwas zu.
Befehlshaber? Raisas übermüdeter Verstand begriff nicht ganz. Stattdessen musterte sie untätig die Namen und Daten, die an der anderen Seite des Eingangs aufgeschrieben standen – eine Liste der Klassenbefehlshaber, die bis zur Großen Zerstörung zurückreichte. Sie fand einen vertrauten Namen und sah näher hin. Der Name Byrne tauchte in regelmäßigen Abständen im Laufe der vergangenen tausend Jahre immer wieder auf. Und erst vor Kurzem Edon Byrne, Amons Vater. Und Amon Byrne.
Sie spürte Amons Gegenwart hinter sich als Prickeln zwischen den Schulterblättern. »Da oben stehen eine ganze Menge Byrnes«, sagte sie und deutete zu den Namen hin.
»Es ist eine Art Tradition.« Er nahm ihr die Satteltaschen ab und reichte sie Mick. »Ihr Übrigen geht schon mal nach Grindell und richtet euch ein«, sagte er. »Und nehmt extra Laken für mich und Morley mit. Morleys Sachen legt ihr in den dritten Stock. Talbot und Abbott, ihr teilt euch ein Zimmer mit Morley. Wenn ihr eure Betten fertig und eure Sachen verstaut habt, geht rüber in den Speisesaal. Wartet nicht mit dem Essen auf uns.«
Er wandte sich an Raisa. »Und du kommst mit mir, Morley. Master Askell wartet auf uns.«
Müssen wir ihn unbedingt jetzt sehen?, dachte Raisa. Ihr Hunger war inzwischen der Müdigkeit gewichen, und sie wäre am liebsten einfach nur ins Bett gefallen. Laut sagte sie: »Ich hatte gehofft, erst ein Bad nehmen zu können. Kann ich mir nicht vorher wenigstens irgendwo das Gesicht waschen?«
»Wir sollten lieber sehen, dass wir pünktlich sind«, antwortete Amon. »Dein Aussehen wird ihn mehr interessieren, wenn er sich einverstanden erklärt hat, dich aufzunehmen.«
Die anderen Wölfe holten Decken und Laken aus einem kleinen Raum und verließen das Gebäude durch eine Seitentür. Raisa und Amon stapften eine lange Steintreppe zum dritten Stock hoch. Oben angekommen, klopfte Amon an die dicke Holztür.
»Herein«, sagte eine tiefe Stimme.
Taim Askell stand vor seinem Schreibtisch, als sie eintraten. Er war groß, vielleicht noch ein bisschen größer als Amon, aber vermutlich um die Hälfte schwerer als er. Seine voluminöse, muskulöse Gestalt beherrschte das Zimmer, obwohl das Büro nicht gerade klein war. Sein Gesicht war faltig und wettergegerbt, und an den Augenwinkeln waren kleine Fältchen zu sehen, die darauf hinwiesen, dass er in der Vergangenheit viel gelacht haben musste.
Jetzt lachte er nicht.
Ein Fakultätsgewand lag gefaltet über der Rückenlehne seines Stuhls; ansonsten war das Zimmer aufgeräumt. Alles war wohlgeordnet, abgesehen von einem Stapel Papiere, die sich auf dem Schreibtisch verteilten.
Bücherregale säumten die Wände, vollgestopft mit goldgeprägten, schwarzen Lederbänden, die zueinander passten und Geschichtsschreibungen von militärischen Feldzügen enthielten. Eine Karte der Sieben Reiche hing an der Wand gegenüber der Tür, und hinter seinem Schreibtisch befand sich eine gerahmte, sepiafarbene Karte von Carthis.
»Master Askell«, sagte Amon in der Allgemeinen Sprache und presste zum Salut die Faust auf sein Herz. »Befehlshaber Byrne meldet sich wie befohlen mit der Anwärterin Rebecca Morley.«
Raisa ahmte Amons Salut nach; sie fragte sich, wie viel Master Askell wohl wusste.
»Rührt euch, Befehlshaber und … Kandidatin Morley«, sagte Master Askell in der Allgemeinen Sprache mit dem Akzent von Arden. »Setzt euch«, sagte er und deutete auf zwei Stühle mit geraden Lehnen. Es war mehr ein Befehl denn eine Einladung.
Raisa setzte sich kerzengerade auf den Rand des Stuhls und legte die Hände auf die Oberschenkel. Sie versuchte, größer und eindrucksvoller zu wirken. Wie jemand, der es verdient hatte, zugelassen zu werden.
Askell setzte sich nicht. Stattdessen baute er sich vor den beiden auf wie der Große Zerstörer am Tag der Abrechnung. Als wollte er ihnen nicht mehr als ein paar Minuten seiner Zeit gönnen.
»Es wird nicht lange dauern, das versichere ich euch«, sagte Master Askell und bestätigte damit Raisas Eindruck. »Ich habe mir angewöhnt, jeden Bewerber zu befragen, der in Wien House aufgenommen werden will, und vor allem jene, die besondere Vorrechte erbitten.«
»Besondere Vorrechte, Sir?« Raisa warf einen Blick auf Amon, der
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